Aufruf zur Tat – ‚Seid barmherzig!‘: Jahreslosung für 2021 passt in die Zeit

Duden-Chefredakteurin Kathrin Kunkel-Razum bestätigt: Barmherzigkeit ist ein gehobener Begriff, er kommt eher geschrieben als gesprochen vor. Und eben in der Bibel: Die Jahreslosung der christlichen Kirchen für 2021 steht im Lukasevangelium: „Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist!“ (6. Kapitel, Vers 36).

Mit „mitfühlend“ und „Verständnis für die Not anderer zeigend“ beschreibt der Duden, was unter dem Adjektiv „barmherzig“ zu verstehen ist. Für Sprachwissenschaftler Peter Schlobinski reicht bloßes Mitgefühl nicht aus. „Ein barmherziger Mensch ist – wie der barmherzige Samariter aus der Bibel – kein Mensch, der nur Mitleid hat, sondern jemand, der auch tätig wird und hilft“, erläutert der Professor für Germanistische Linguistik der Leibniz Universität Hannover.

Schlobinski führt das Wort auf die Bibel zurück, aus deren Übersetzung schließlich das althochdeutsche Wort „armherzi“ (8. bis 9. Jahrhundert) und das mittelhochdeutsche „barmherze“ (11. bis 14. Jahrhundert) entstanden sind. Das Wort „barmherzig“ habe sich dabei aus zwei Wörtern zusammengesetzt: aus „arm“ im Sinne von schwach oder hilflos und „Herz“. Es geht also um ein Herz für Arme.

Doch wie gut passt Barmherzigkeit in das 21. Jahrhundert? Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, ist sich sicher, dass barmherziges Handeln – auch wenn es für manche wie von gestern klingen mag – im Jahr 2021 dringend gebraucht wird. „In diesem Pandemie-Jahr ist Barmherzigkeit eine zentrale Ressource, an der sich entscheidet, ob wir geschwächt oder gestärkt aus dieser Erfahrung hervorgehen“, sagt er. Wie gut die Corona-Pandemie bewältigt werde, hänge maßgeblich davon ab, inwiefern die Gesellschaft zu Barmherzigkeit in der Lage sei.

Die evangelische Theologin Margot Käßmann richtet ihren Blick auf die Politik: „Barmherzigkeit 2021 wird auch bedeuten, im Rückblick auf die Pandemie anderen zuzugestehen, Fehler gemacht zu haben – etwa in der Politik“, sagt sie. „Weil Menschen unausweichlich Fehler machen, gerade angesichts dramatischer Herausforderungen.“ 

Sie denke beim Thema Barmherzigkeit auch an Menschen auf den griechischen Inseln, die Geflüchtete versorgten: „Sie haben ein Herz für andere.“ Der hannoversche Landesbischof Ralf Meister mahnt: „Wir brauchen Barmherzigkeit mehr denn je. Wir brauchen eine Gesellschaft der offenen Herzen füreinander.“

Der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Thomas Sternberg, hofft, dass das Leid anderer im neuen Jahr stärker von der Gesellschaft wahrgenommen wird. Es brauche zum Beispiel echtes Mitgefühl für die Verunsicherung und Ängste der Menschen in der Corona-Krise. Nach Einschätzung des Bischofs des katholischen Bistums Osnabrück und stellvertretenden Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Franz-Josef Bode, wird sich Barmherzigkeit 2021 in konkretem Handeln zeigen – etwa darin, „sich weiterhin den Regeln entsprechend zu verhalten, seine Nächsten zu stärken und all denen den Impfstoff zuerst zukommen zu lassen, die ihn nötiger haben als ich“.

Der altmodisch klingende Begriff ist für den niedersächsischen Ministerpräsidenten Stephan Weil (SPD) zweitrangig. Es komme viel mehr auf den Inhalt an, sagt er. „Was Barmherzigkeit ausmacht, ist so aktuell wie wohl seit Jahren nicht mehr. In unübersichtlichen Zeiten, in Krisen zumal, brauchen wir ein solidarisches Miteinander als ganz wesentliche Säule unseres Gemeinwesens.“

Dass die diesjährige Jahreslosung so genau auf die Umstände im Jahr 2021 zutrifft, ist Zufall. Der jeweilige Bibelspruch wird vier Jahre im Voraus von der Ökumenischen Arbeitsgemeinschaft für Bibellesen (ÖAB) ausgewählt. An eine Pandemie war damals noch nicht zu denken, viel mehr vermutete das ÖAB-Gremium, dass Barmherzigkeit im Zusammenhang mit dem Flüchtlingszuzug nach Europa ein gutes Stichwort sei, erklärt ÖAB-Vorsitzender Wolfgang Baur. Letztlich sei es aber gleich, welches Thema das neue Jahr dominiere. Die Jahreslosung für 2021 rufe die Menschen dazu auf, sozial zu handeln. 

2021 sei Mitgefühl gefragt, sagt Bedford-Strohm. Versetze man sich nur mal „in die Lage der 87-Jährigen in ihrem Seniorenheim am Stadtrand von Bremen oder in die Lage der Krankenschwester im Klinikum rechts der Isar, die angesichts der vielen Covid-19-Kranken mit ihrer Kraft am Ende ist“. Und eben weil das Wort „Herz“ als menschliches Organ ein Bestandteil des Wortes „Barmherzigkeit“ ist, will die Präsidentin der Bremischen Evangelischen Kirche, Edda Bosse, an diesem Begriff festhalten: „Da bin ich gerne ein bisschen altmodisch.“

Quelle: Evangelische Kirche in Deutschland: Nachrichten ( https://www.ekd.de/rss/editorials.xml?)
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