Vom Mops und protestantischer Pracht

Mit Ernst Wahl auf dem Diakonie-Pilgerweg von Winnenden nach Beutelsbach

Über mehr als 400 Kilometer erstrecken sich die Etappen des Diakonie-Pilgerwegs, der von Schwäbisch Hall im Norden bis nach Wilhelmsdorf in den Süden führt, vorbei an Schlössern und Burgen, Kirchen und Kapellen. Und an mehr als 40 diakonischen Einrichtungen, von der Jugend-, Behinderten- oder Altenhilfe bis hin zur Sozialpsychiatrie, vom Berberdorf über Ausbildungsstätten bis zum Einkehrhaus mit klösterlicher Stille und Tagzeitengebeten.

Ernst Wahl liegt die Diakonie so am Herzen, dass er sein erstes Ruhestandsjahr als Freiwilliger (BufDi) im Diakonischen Werk absolvierte. Stephan Braun / elk-wue.de

Dort sollte man Menschen begegnen, die in den diakonischen Einrichtungen arbeiten und leben. So war die ursprüngliche Idee. Doch in Corona-Zeiten ist das  nur sehr eingeschränkt möglich. Aber gehen kann man Etappen dieses Weges.

Ich bin verabredet mit Ernst Wahl (71), einem Mann, dem die Diakonie so am Herzen liegt, dass er sein erstes Ruhestandsjahr als Freiwilliger (BufDi) im Diakonischen Werk absolvierte. Mit ihm will ich heute von Winnenden nach Beutelsbach gehen. Ich treffe Ernst Wahl am Mops-Denkmal auf dem Gelände des Klinikums Schloss Winnenden, einer Landeseinrichtung für Psychiatrie und Psychotherapie.


Pilgern boomt. Seit Jahren schon. Und auch in Corona-Zeiten sind Pilger unterwegs, vor allem einzeln, nur tageweise und auf regionalen Pilgerwegen. Elk-wue.de stellt in diesem Jahr in unregelmäßigen Abständen Glaubens- und Pilgerwege vor und spricht mit Menschen über ihre Pilgererfahrungen.


Die Geschichte vom treuen Mops ist nur eine Legende, sagt Ernst Wahl. Stephan Braun / elk-wue.de

Mehr als 400 Kilometer von Schwäbisch Hall bis Wilhelmsdorf? Das ist etwa so viel wie von Stuttgart nach Dortmund. Wie kann das sein?  „Das kommt schon hin“, sagt Wahl. „Denn dieser Weg sollte von Anfang an auch mit Kinderwagen und Rollstühlen machbar sein. Da muss man manche Umwege gehen.“

Der treue Mops

Und dann erzählt er die Geschichte von Herzog Karl Alexander und seinem treuen Mops. Karl Alexander sei als Feldmarschall in österreichischen Diensten im Jahr 1717 während der Schlacht um Belgrad sein Hund abhandengekommen.  Besagter Mops lief dann zurück bis zum Schloss Winnenthal, wie das Schloss Winnenden früher hieß. „Das ist aber nur eine Legende“, so Wahl. „Der Clou ist ein anderer.“

Der Anfang des Oberkirchenrats

Karl Alexander hatte nämlich den katholischen Glauben angenommen, um seine militärische Karriere zu befördern. Als Herzog Eberhard Ludwig von Württemberg 1733 starb und Karl Alexander das Land regieren sollte, hatten die Landstände eine Heidenangst, dass sie katholisch werden müssten. „Cuius regio, eius religio“, so hieß doch die alte Regel, wonach der Herrscher eines Landes berechtigt ist, die Religion für dessen Bewohner vorzugeben. Um dies zu verhindern, wurde ein ausgeklügeltes Vertragswerk verhandelt und eine eigene Landesbehörde geschaffen. „Und das ist der Anfang des Oberkirchenrats“, sagt Ernst Wahl. Und schmunzelt

Der Hochaltar in der Schlosskirche, hier ein Ausschnitt, erinnert an die Bedeutung der Kirche als Station auf dem mittelalterlichen Jakobsweg nach Santiago de Compostela.Gerhard Paulus / Evangelische Schlosskirche Winnenden

Entlang des Jakobswegs

Vorbei geht’s an der Schlosskirche St. Jakobus, dessen Hochaltar an die Bedeutung der Kirche als Station auf dem mittelalterlichen Jakobsweg nach Santiago de Compostela erinnert.

Heute liegt das Gotteshaus wieder am neu erschlossenen Jakobsweg.

Der Diakonie-Pilgerweg folgt dieser Route auf den nächsten Kilometern. Bis kurz vor Hanweiler, dann biegt er ab, führt durch den Ort, über den Hanweiler Sattel bis nach Steinrainach zur Ruine der ehemaligen Wallfahrtskirche St. Wolfgang mit ihrer wechselhaften Geschichte.

Die Ruine der Wallfahrtskirche St. Wolfgang in Steinrainach. Auch eine Kelter wurde schon mal in ihre Mauern gesetzt.Stephan Braun / elk-wue.de

Eine Kelter in die denkmalgeschützte Kirche gebaut

Die Mitte des 15. Jahrhunderts erstmals urkundlich erwähnte Kirche wurde im Dreißigjährigen Krieg weitgehend zerstört und niedergebrannt.  1931 hat man Teile der Wände abgerissen und eine Kelter in die Kirchenmauern hineingebaut, obwohl die Ruine unter Denkmalschutz stand. Erst eine Ortskernsanierung Anfang er 2000-er Jahre führte dazu, dass die Kelter wieder abgebrochen wurde.  Jetzt schmücken die Reste der Wallfahrtskapelle mit den wertvollen Maßwerkfenstern und dem aufwändig restaurierten gotischen Chorbogen Steinrainachs Ortsmitte.

Das Wohn- und Pflegestift in Großheppach, benannt nach Wilhelmine Canz, er Begründerin der Großheppacher Schwesternschaft steht.Stephan Braun / elk-wue.de

Ora et labora: Wilhelmine Canz und die Großheppacher Schwesternschaft

Schließlich kommen wir nach Großheppach und machen Halt vor dem Wohn- und Pflegestift der Großheppacher Schwesternschaft, einer Gemeinschaft von Diakonissen, also von Frauen, die verbindlich und ehelos ihren Glauben miteinander leben wollen. „Wilhelmine Canz hat hier 1856 eine Bildungsanstalt für Kleinkinderpflegerinnen gegründet. Der Anfang der Großheppacher Schwesternschaft“, berichtet Ernst Wahl. „Denn Wilhelmine Canz wollte die Armut ihrer Zeit und die zunehmende Verelendung in vielen Familien nicht hinnehmen. Sie empfand das als große Herausforderung für die Kirche und setzte auf Herzensbildung und Erziehung durch fachlich geschulte Frauen.“ Ein Mutterhaus bot den Frauen, die zur Ausbildung kamen, Heimat und Versorgung in einer Schwesternschaft, die die alte, klösterliche Ordensregel „ora et labora“, bete und arbeite, übernommen hatte. So wie die anderen Gemeinschaften von Diakonissen auch.

Heute unterhält die Schwesternschaft neben dem Wohn- und Pflegestift auch ein Kinderhaus und bildet Pflegefachkräfte sowie Erzieherinnen und Erzieher aus. Ihr geistliches und gemeinschaftliches Zentrum, das Mutterhaus, ist nach Beutelsbach umgezogen und die Ecksteingemeinschaft, eine Nachfolgegemeinschaft der Großheppacher Schwesternschaft, bietet auch denen Zugang, die nicht in Ehelosigkeit leben möchten.

Die Wiege Württembergs

Wir kommen nach Beutelsbach, das Ziel unsere Etappe. Schon von weitem sind Turm und Schiff der Stiftskirche zu sehen, die in ihrer jetzigen Form aus der Mitte des 16. Jahrhunderts stammt. In ihren Mauern sind jedoch noch Steine einer älteren Vorgängerkirche aus romanischer Zeit (vor 1100) verarbeitet.

„Wir fühlen uns als Mitte des Landes und als Wiege Württembergs“, begrüßt uns Pfarrer Rainer Koepf. Kein Wunder. Die Beutelsbacher Pfarrkirche St. Leodegar war wohl seit der Zeit von Konrad von Wirtenberg (1083 bis 1110), der mit Luitgard von Beutelsbach verheiratet war, die Grablege des Hauses Wirtenberg. Diese Grablege war der Anlass zur Gründung eines Chorherrenstiftes, das von Graf Ulrich „dem Stifter“ (um 1226 bis1265) neu ausgestattet und vergrößert wurde.

Eberhard „der Erlauchte“ von Wirtenberg verlegte das Stift und die Grablege später, um 1320, nach Stuttgart. Auch die Schiedglocke wurde nach Stuttgart entführt und läutet heute noch von der Stuttgarter Stiftskirche.

„Wir fühlen uns als Mitte des Landes und als Wiege Württembergs“, sagt der Beutelsbacher Pfarrer Rainer Koepf.Stephan Braun / elk-wue.de

Beutelsbacher Selbstbewusstsein und protestantische Pracht

Ein herber Verlust. „Was unserem Selbstbewusstsein aber keinen Abbruch tut“, betont Koepf. „Das ist auch kein leeres Selbstbewusstsein. Die Beutelsbacher sind gscheite Leut.“ Und vom landeskirchlichen Pietismus und der Diakonie geprägt.

„Das Stift war ja nichts anderes als eine große diakonische Einrichtung“, betont Koepf. „Wenn die Leute Sorgen gehabt haben, sind sie ins Stift gegangen.“ Auch heute noch arbeiten viele der Gemeindemitglieder beruflich in der Diakonie, allein die örtliche Sozialstation zählt 120 Mitarbeitende. Auch der Gottesdienstbesuch könne sich sehen lassen. 200 bis 300 Gemeindeglieder fänden sonntags normalerweise den Weg in die Kirche – in Corona-Zeiten etwas weniger. „Und wenn der Posaunenchor bei der Konfirmation zu spielen beginnt, dann ist das ein Akt protestantischer Prachtentfaltung“, schwärmt Koepf.  „Es ist ja auch einer der größten. Wenn nicht sogar der größte im Land.“


Stephan Braun


Wer Einrichtungen am Diakonie-Pilgerweg besuchen möchte, sollte vorher mit der Einrichtung Kontakt aufnehmen. Das gilt schon gleich zu Corona-Zeiten.