Gut (ist uns nicht gut) genug!

Koch meint…

Ich fang einfach mal so an: „Das schändlichste Laster ist der Ehrgeiz.“ Sagt beziehungsweise sagte Martin Luther. Und muss bei dem Gesagten aus seiner Zeit heraus verstanden werden. Weil das Wort Ehrgeiz damals ausschließlich negativ besetzt gewesen ist: nach Ehre geizen gleich nach Macht und Ruhm gieren. Was Luthers Verdikt begreiflich macht.

Worauf hinzuweisen mir deshalb wichtig ist, weil die auf den Reformator und sein Wirken zurückgehende Evangelische Kirche in Deutschland in Sachen Ehrgeiz scheinbar barmherziger ist. Jedenfalls lautet das Motto der EKD-Fastenaktion 2012 so: „Gut genug! Sieben Wochen ohne falschen Ehrgeiz“. Der Umkehrschluss liegt auf der Hand: Richtiger Ehrgeiz ist okay. Und doch gibt es keinen wirklichen Unterschied zwischen damals und heute: Luther hat den positiven Ehrgeiz einfach noch nicht gekannt. Wobei man statt richtig oder falsch beziehungsweise positiv oder negativ mit Meyers Konversationslexikon von 1905 auch sagen könnte: „Je nachdem, ob zur Erreichung des Zwecks nur lautere Mittel angewendet oder auch unlautere nicht gescheut werden, unterscheidet man einen edlen und einen gemeinen Ehrgeiz.“

Genug der Belehrung und stattdessen das Eingeständnis, dass ich mit dem bisher Gesagten eigentlich nur Zeit gewinnen wollte! Bevor ich zugebe: Ich bin selber auf eine grottenfalsche Weise ehrgeizig. Was sich schon allein daran zeigt, dass ich jetzt eigentlich auf dem Weg ins Stadion sein und meinem VfB Stuttgart helfen müsste, die Gelbfüßler vom SC Freiburg zu schlagen. Stattdessen sitze ich hier und denke, ohne ein neues „Koch meint“ geht es nicht. Weil „Gauck und gut“ bereits in die Tage gekommen ist. Danach dann das nächste Muss: ein weiterer „Kirchentalk“ für Radio 7 und anschließend dieses und jenes in Sachen Politik. Bis dahin ist in der Mercedes Benz-Arena längst der Schlusspfiff ertönt, und ich komm mir mal wieder wie ein Märtyrer vor. Dabei ist der ganze Stress zumindest teilweise hausgemacht. Weil ich offensichtlich auch heute mit der ersten Tasse Kaffee einen Schluck „Gut ist uns nicht gut genug“ zu mir genommen habe. Und dieser Schluck wirkt nach.

Was ich alles nur deshalb sage, weil ich wohl nicht der Einzige bin, dem es so geht. Oder anders und mit Worten der EKD-Fastenaktion ausgedrückt: „’Jeden Tag ein bisschen besser’ – mit diesem Slogan preist nicht nur die Werbung ihren Ehrgeiz. Auch Eltern, Lehrer, Arbeitgeber“ – und Arbeitnehmer – „können darin einstimmen. Nach den jüngsten Erfolgen werden immer gleich die neuen Ziele ausgerufen. Was gestern gut war, muss morgen überboten werden: Die Skala ist nach oben immer offen.“

Das aber ist nicht gut so. Gut so ist vielmehr: „Gut genug! Sieben Wochen ohne falschen Ehrgeiz“. Weil dieses „Immer besser, immer schneller, immer attraktiver“ artet, wie man sieht, in Stress aus. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Wenn wir heute schon unser Bestes geben, müssen wir nicht in jedem Fall versuchen, morgen noch besser zu sein. Stattdessen sollten wir unseren Ehrgeiz – unseren richtigen, positiven, „edlen“ Ehrgeiz – auf etwas anderes richten. Damit es uns vielleicht genauso geht, wie es ein Werbespruch aus der Tourismusbranche dieser Tage verspricht: „Gerade einen wichtigen Menschen wieder getroffen. Mich selbst.“ Fast sieben Wochen haben wir, habe auch ich dafür Zeit.

So, und jetzt würde es eigentlich trotz allem noch ins Stadion reichen …

Das meint Koch. Und was meinen Sie?


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