Heiliger Moment

Koch meint…

Am Samstagmorgen um halb acht bin ich auf dem Friedhof gewesen. Und habe dabei einen heiligen Moment erleben dürfen. Den ich, denke ich, so schnell nicht vergessen werde.

Wobei es Zufall gewesen ist, dass mich am Rande einer Tagung in Bad Boll mein Morgenspaziergang auf den historischen Blumhardt-Friedhof geführt hat. Dazu muss man Kurhaus und Kurpark hinter sich lassen und an der Siedlung der Herrnhuter Brüdergemeine vorbei in Richtung freies Feld gehen. Um nach wenigen hundert Metern vor einer langgezogenen, dichten Hecke zu stehen, hinter der sich der besagte Friedhof verbirgt.

Das schmiedeeiserne Tor ist nicht verschlossen, und ich trete ein. Schattig ist’s und kühl noch um diese Zeit. Und so still, dass die Matinee der Vögel ungestört bleibt. „Brodersen“ ist der erste Name, der mir von einem Grabstein her ins Auge fällt. Es gibt ihn öfter hier und, wenn man so will, durchaus auch prominent. Aber natürlich suche ich zunächst nach Blumhardt Vater und Sohn.

Blumhardt der Ältere hat mich durch meine Kindheit und Jugend begleitet. Weil unser Pfarrer wenn nicht jede, so doch jede zweite Predigt so angefangen hat: „Blumhardt hat einmal gesagt …“ Was nicht immer prickelnd, sondern eher zum Weghören gewesen ist. Jetzt, wo ich an Johann Christoph Blumhardts Grab stehe, weiß ich, dass ich hätte besser aufpassen sollen. Denn unter der mächtigen Steinplatte hat ein Großer des Glaubens seine letzte Ruhe gefunden. Und einer, der es sogar mit dem Teufel aufgenommen hat. An Möttlingen und daran, wie Blumhardt der Gottliebin Dittus aus ihrer Besessenheit geholfen hat, kann ich mich jedenfalls Gott sei Dank noch gut erinnern. Aber nicht mehr daran, dass die Geheilte später mit Blumhardt nach Bad Boll gegangen ist und dort den Verwalter Theodor Brodersen geheiratet hat. Ein kleines weißes Kreuz ziert ihr Grab. Man muss aufpassen, dass man es nicht übersieht. Als wollte die zumindest in kirchlichen Kreisen berühmte Verstorbene nun endlich aus dem Rampenlicht treten, macht sich ihre letzte Ruhestätte da an der Hecke fast unsichtbar.

Blumhardt den Jüngeren dagegen hat unser Pfarrer nie erwähnt. Wie denn auch! Schließlich ist Christoph Blumhardt als Pfarrer auch SPD-Landtagsabgeordneter und damit im pietistischen Württemberg lange Zeit kein Vorzeigechrist gewesen. Und hat doch wie sein Vater vieles heilen dürfen: Wunden der Not und Armut ebenso wie Gebrechen an Leib und Seele. Wenn er bei Blumhardt in Bad Boll sei, könne sogar er an Gott glauben, hat der damalige Vorsitzende der deutschen Sozialdemokraten, August Bebel, einmal gesagt. „Dass Jesus siegt, bleibt ewig ausgemacht, sein wird die ganze Welt“ steht auf dem nicht minder mächtigen Grabstein von Blumhardt Sohn. Gedichtet hat das Lied der Vater.

Ich setze mich auf eine Bank und lasse die Morgenstimmung dieses Friedhofs ganz nah an mich ran. Sie fühlt sich gut an. Und sie tut gut. Weil es immer gut ist, sich mit solchen Glaubenszeugen zwar nicht auf einer Stufe, wohl aber in einer Reihe zu wissen und in ihrem Glauben auch einmal sterben zu dürfen. Wie hat Christoph Blumhardt beim Tode Bebels so schön gesagt: „Jetzt wird dr August Auga macha!“

Natürlich kann man auch an einem anderen Tag und zu einer anderen Zeit den historischen Blumhardt-Friedhof in Bad Boll besuchen. Einfach Kurhaus und Kurpark hinter sich lassen, an der Siedlung der Herrnhuter Brüdergemeine vorbei in Richtung freies Feld gehen, nach wenigen hundert Metern rechts vor der langgezogenen, dichten Hecke haltmachen und durch das schmiedeeiserne Tor den Friedhof betreten! Ich bin mir sicher, dort wartet auch auf Sie ein heiliger Moment.

Übrigens müsste das eine oder andere Grab ein bisschen gerichtet werden. Und auch lesen kann man vieles nicht mehr wirklich gut. Ich denke, wir sollten dieses Erbe für unsere Nachkommen bewahren.

Das meint Koch. Und was meinen Sie?


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