Unfaire Verlierer

Koch meint…

Wenn es ein Witz sein soll, geht er gehörig daneben. Ist das Ganze aber ernst gemeint, muss man an der Anständigkeit und am Demokratieverständnis mancher Zeitgenossen zweifeln. Jedenfalls kursiert dieser Tage im Internet eine Traueranzeige für „unser geliebtes Musterländle Baden-Württemberg“, das „durch einen tragischen und sinnlosen Wahlausgang am 27. März in eine grün-rote Chaosregierung gestürzt“ wurde. Schmerzlich berührt vom Dahinscheiden des knapp 58 Jahre alt gewordenen Erfolgsmodells aber sind „39 Prozent verantwortungsvolle und vernünftige Wählerinnen und Wähler“, die nun u. a. „damit leben müssen, dass … christlich-soziale Werte in der Landespolitik künftig keine Rolle mehr spielen.“ Und weil mithin die anderen 61 Prozent des Wahlvolks von allen guten Geistern verlassen sind, werden für sie auch noch Gott, Jesus und Lukas 23 bemüht: „Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun!“

Wie gesagt: Wenn diese Anzeige der allgemeinen Belustigung dienen will, verfehlt sie ihr Ziel meilenweit und ist an Geschmacklosigkeit kaum zu überbieten. Sollten allerdings ihre Verfasser den Unsinn, der da auf ihrer Miste wächst, tatsächlich glauben, wäre es an uns, vom Glauben an die Vernunft nicht aller, aber auf jeden Fall dieser Menschen abzufallen. Weil sie in mindestens dreierlei Hinsicht voll daneben liegen.

Zum einen: Man muss den mutmaßlichen neuen Ministerpräsidenten ja weder mögen noch mit seiner Politik einig sein. Aber zu behaupten, christlich-soziale Werte wären unter seiner Ägide out, ist ebenso dumm wie dreist. Schließlich ist Winfried Kretschmann Mitglied im Zentralrat der Katholiken Deutschlands. Schon allein deshalb dürfte er von der christlichen Soziallehre mehr verstehen als jene, die deren vermeintlichen politischen Niedergang beklagen.

Zum andern: Natürlich haben 39 Prozent gehofft – warum werden hier eigentlich die fünf Prozent FDP-Wähler unterschlagen? –, dass alles so weitergeht wie bisher. Aber anders als eine zugegebenermaßen große Minderheit hat eine Mehrheit den Wechsel gewollt. Das gilt es in einer Demokratie zu akzeptieren und zu respektieren, nicht jedoch zu diffamieren. Ganz abgesehen davon, dass jede neue Regierung eine Chance verdient hat und man nicht schon vor ihrem Amtsantritt ein vernichtendes Urteil über sie fällt: „grün-rote Chaosregierung“.

Und schließlich: Lassen wir Gott aus dem Spiel! Für billige Polemik wie hier jedenfalls sollten wir seinen Namen nicht missbrauchen. Was wir stattdessen aber auf jeden Fall tun können, ist, für die neuen Verantwortungsträger zu beten. Auch für sie ist nämlich wie für die bisher Regierenden an Gottes Segen alles gelegen.

Aber vielleicht habe ich besagter Traueranzeige jetzt schon zuviel Ehre erwiesen. Und deshalb schiebe ich nur noch einen durchaus unfrommen Wunsch hinterher: Möge das Pamphlet so schnell wie möglich im Orkus des World Wide Web verschwinden! Jedenfalls hat, wer es nicht zu lesen bekommt, nichts, aber auch gar nichts versäumt. Und: Faire Verlierer sehen anders aus.

Das meint Koch. Und was meinen Sie?


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