Römer 8,1-11

So gibt es nun keine Verdammnis für die, die in Christus Jesus sind. Denn das Gesetz des Geistes, der lebendig macht in Christus Jesus, hat dich frei gemacht von dem Gesetz der Sünde und des Todes.
Wenn aber Christus in euch ist, so ist der Leib zwar tot um der Sünde willen, der Geist aber ist Leben um der Gerechtigkeit willen. Wenn nun der Geist dessen, der Jesus von den Toten auferweckt hat, in euch wohnt, so wird er, der Christus von den Toten auferweckt hat, auch eure sterblichen Leiber lebendig machen durch seinen Geist, der in euch wohnt.

Liebe Gemeinde,

„Der hat aber einen Geist!“, sagt man bei mir zuhause, wenn jemand besonders hochmütig und selbstherrlich daherkommt. Damit soll gesagt werden: Dieser Mensch ist hochmütig.
Menschen können von unterschiedlichen Geistern besessen sein. Wir reden vom Geist der Vernunft, der Wissenschaft, dem Geist des Fortschritts. Manchmal erleben wir, daß jemand von allen guten Geistern verlassen ist.

I. Gottes Geist macht lebendig

Der Apostel Paulus redet in seinem Brief an die Christen in Rom vom Geist Gottes, der in denen wohnt, die sich zu Christus bekennen. Dieser Geist, sagt Paulus, macht frei von Sünde und Tod. Ja, er bewirkt noch mehr: der dem Tod ausgelieferte Mensch wird durch diesen Geist lebendig gemacht und bekommt Anteil an der Auferstehung Jesu Christi.

Klar, sterben müssen wir alle. Aber warum kann Paulus sagen, daß ich als Christ befreit bin vom Gesetz der Sünde und des Todes? Was hat das mit meinem Leben zu tun? Ich möchte Ihnen eine kleine Geschichte erzählen, in der Menschen etwas vom befreienden Geist Gottes erfahren haben.

Es war schon lange her, daß Gott die Inseln geschaffen hatte, so lange, daß man auf der Hallig nichts mehr davon wußte. Man hatte Gott dort längst zu den Alltäglichkeiten getan. Man lebte ja nie im Überfluß, aber man war doch satt und selbstzufrieden geworden. Dann waren Neid und Mißgunst eingekehrt und daraus wurden Haß und Hader. Der Marschhof stand gegen den Pötterhof. Und die Bauern gingen einander aus dem Weg, wo immer es sich einrichten ließ. So war manches Jahr über die Hallig gegangen, und im Wandel der Zeiten war die Kluft zwischen den Höfen immer größer geworden.

Einst stand eine kleine Kirche auf der Hallig. Ganz früher, so erzählten die Väter noch, habe man sich jeden Sonntag zum Gottesdienst dort eingefunden. Der Pastor sei vom Festland dazu eigens im Boot herübergekommen. Manchmal habe auch einer der alten Bauern die Predigt verlesen.

Aber die kleine Kirche stand nicht mehr. Die Stümpfe des Glockenturms ragten aus dem Boden heraus. Damals war die große Flut gekommen; die Hallig lag landunter. Und diese Flut hatte das alte Kirchlein mit sich gerissen. Sie hatten die Kirche nicht wieder aufgebaut, weil sie genug damit zu tun hatten, nach der Flut Haus und Hof wiederherzurichten. Als sich dann die Zeiten besserten und es den Halligbewohnern wieder leidlich gut ging, fand man es nicht für so notwendig, Gottes Kirche auf der Hallig wiederaufzubauen. Es war kein Geld dafür übrig. Die alten Balken und Steine hatten sie für den Neubau der Ställe verwendet.

Dann kam die große Springflut und riß alles mit, wessen sie habhaft werden konnte. Wieder lag die Hallig landunter. Der Pötterhof war von der Flut begraben worden. Der höhergelegene Marschhof hatte den Fluten getrotzt. So kam es, daß der Pötterbauer zum Marschbauern bitten gehen mußte. Der Gang fiel ihm nicht leicht. Aber die Not gebot. Seine Frau war ertrunken. Knechte und Mägde und die Kinder hatten sich mit einem Boot retten können.

Der Marschbauer hatte das Unglück des Pötterhofes gesehen, und dabei war ihm plötzlich deutlich geworden, daß es nicht sein Verdienst war, wenn ihm Haus und Hof verschont blieben. In dieser Stunde der Erkenntnis warf er den alten Hader über Bord. Dann machte er ein Boot klar und fuhr dem Pötterbauern entgegen.

Auf dem Restwasser der Flut trafen sie einander. Es waren bange Augenblicke. Der Pötterbauer sagte kein Wort. Aber seine bittenden Augen sagten alles und baten um Vergebung für Haß, Neid und Zank. Dann brach der Marschbauer mit kargen aber herzlichen Worten das Schweigen und bot dem Feind seinen Hof als Obdach an.

In dieser Zeit packten sie beide, Mann neben Mann, mit ihren arbeitsgewohnten Fäusten zu, um der Not zu steuern und das Wenige vom Pötterhof gemeinsam zu bergen. Das Vieh war ein Raub der Fluten geworden. Der Marschbauer schenkte dem Pötterbauern einige Tiere seiner verschonten Herde. Dann kam die Zeit, in der die Flut sich verlaufen hatte. In jener Zeit konnten sie gemeinsam schaffen bis in die späte Nacht. Andere halfen mit. Und bald waren die Grundmauern des Pötterhofes wieder errichtet.

Am Tag vor Pfingsten kam der Jüngste, Uwe, vom Pötterhof und schleppte ein schweres Etwas aus Holz hinter sich her. Er hatte den Strand nach Holz abgesucht und dabei etwas gefunden, das man nie zuvor und nie danach auf einer Hallig gefunden haben wird: Er brachte ein schweres Kreuz mit dem Gekreuzigten daran. Es war als Strandgut von irgendwoher nach der großen Flut angeschwemmt worden. Es stellte eine sehr alte Schnitzarbeit dar.

Als sie es am Abend vor Pfingsten in der großen Stube des Marschbauernhofes aufstellten und im Schein der Lampe betrachteten, schien der Gekreuzigte fragend herabzublicken auf die Halligbauern. Und da spürten sie, daß sie zu Gott zurückgefunden hatten.

Heute steht ein altes schmuckes Kirchlein auf der Hallig. Denn diese Geschichte ist lange her. An jenem zurückliegenden Pfingsttag hatten die Bauern den Beschluß zum Bau der Kirche gefaßt. Und nun schallt sonntags der Ruf der Glocken wieder übers Wasser und über die Hallig. In alten Büchern kann man über den Bau der Kirche nachlesen. Zwei ehemalige Feinde bauten das Haus Gottes neu auf der Hallig. Das damals angeschwemmte Kreuz steht noch heute groß und mahnend hinter dem Altar. Der Pfarrer kommt sonntags im Boot herüber. Und manchmal liest einer der Bauern die Predigt unter dem Kreuz der Kirche auf der Hallig.

II. Kirche als Gemeinschaft der Begeisterten

Liebe Gemeinde,

die Geschichte hätte auch anders ausgehen können und es würde noch heute keine Kirche auf der Hallig stehen. Pötterbauer und Marschbauer hätten ihren Streit nicht begraben, alles wäre beim alten geblieben.

Finde ich in meinem Leben auch Bereiche, in denen alles beim alten geblieben ist? Es fällt mir leichter, mit den alten Gewohnheiten weiterzuleben, weil ich meinen Stolz, meine Besserwisserei und meine Überheblichkeit nicht aufgeben möchte.

Die Kirche auf der Hallig ist ein Zeichen dafür, daß ein anderer Geist Einzug gehalten hat im Leben der Halligbauern. Dieser Geist, sagt der Apostel Paulus, wohnt in jedem von uns. Wo der Geist Gottes wohnt, da werde ich fähig, meinen alten Hader, meinen Neid und Hochmut über Bord zu werfen, und meiner Frau, meinem Mann, meinen Kindern, meinen Freunden in die Augen zu sehen. Da beginne ich, zu fragen, was der andere braucht, was ihm gut tut. Da wird das lange Schweigen gebrochen und zum ersten Mal seit langer Zeit werden Worte gewechselt zwischen Menschen, die sich nichts mehr zu sagen hatten.

Wo der Geist Gottes wohnt, wo ich ihm Platz gemacht habe, dort fange ich an, meine Familie, meine Freunde, meine Nachbarn mit anderen Augen zu sehen: als Geschöpfe Gottes, die wie ich leben, sich freuen, hoffen, lieben. Wo der Geist Gottes wohnt, da fangen Menschen an, wiederaufzubauen, was zerstört war. Dort finden sich Menschen zusammen und erleben Gemeinschaft. Da entsteht Kirche, wie in unserer Geschichte. Ich denke, wenn unsere Kirche in Amorbach neu entsteht, wenn sich Menschen finden, die daran arbeiten, Zeit investieren und ihr Wissen einbringen, dann ist das auch ein Zeichen für den Geist Gottes, der unter uns wirkt und lebendig macht. Pfingsten, das Fest des Geistes, wird nicht ohne Grund der Geburtstag der Kirche genannt.

Wo der Geist Gottes Einzug hält, da entsteht Begeisterung für Gott. Und diese Begeisterung macht sterbende, zum Tod verurteilte Menschen wieder lebendig. Eine Frau erzählte mir neulich: „Wissen Sie, warum ich mich zur Gemeinde halte? Ich habe hier zum ersten Mal in meinem Leben erlebt, daß ich als Mensch angenommen wurde, ohne Wenn und Aber. Ich habe Gemeinschaft und Freundschaft erlebt, die mir hilft, im Alltag zu leben.“

Liebe Gemeinde, Christus, der Mann am Kreuz, der im Schein der Lampe die Halligbauern anblickte, hat uns gezeigt, was ein Leben bewirken kann, das sich vom Geist Gottes bewegen läßt. Wir haben Teil am diesem guten Geist Gottes. Wir sind getauft auf den Namen Christi und gehören zu seiner Kirche. Wir haben im Abendmahl Gemeinschaft untereinander als Brüder und Schwestern. Wer sich von Gottes Geist führen läßt, der ist eine Tochter, ein Sohn Gottes. Wenn wir aber Kinder Gottes sind, dann gehören wir zu ihm.

Die Feier des Abendmahles will diese Gemeinschaft stärken und erneuern. Wir bleiben nicht auf unseren Stühlen sitzen, sondern stehen auf und lassen uns bewegen von der Einladung Gottes: kommt alle an einen Tisch. Es soll keiner fern bleiben. In der Gemeinschaft untereinander dürft ihr schon jetzt erfahren, was einmal kommen soll: die Gemeinschaft der Heiligen am großen Tisch des Reiches Gottes. Der Geist unseres Gottes, der lebendig macht, sei mit ihnen allen. Amen.

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