Lukas 9,57-62

Liebe Gemeinde,

wenn man einen Menschen kennenlernen will, dann gibt es dazu verschiedene Möglichkeiten. Man kann anfangen mit ihm zu reden, ihn fragen über sein Leben, seine Ansichten, seine Wünsche, Hoffnungen und Träume oder Alpträume. Dann erlebt man vielleicht ein nettes Gespräch oder eine schöne Plauderei.

Oder man kann mit diesem Menschen arbeiten, ein paar Stunden oder Tage zusammen an einer Sache schaffen, wie der Schwabe sagt. Da lernt man den anderen schon besser kennen.

Schließlich hat man noch eine andere Möglichkeit: man kann anfangen, ganz bewußt mit diesem Menschen zu leben, ihn als Teil des eigenen Lebens zu erfahren.

Die Jüngerinnen und Jünger Jesu haben ihren Herrn kennengelernt, als sie ihm auf seinem Weg nachgefolgt sind. Seit den Tagen am See Genezareth, als Jesus seine ersten Jünger zu sich rief, waren es immer mehr geworden. Und wie sie ihm gefolgt sind! Was sie alles in ihm sehen gelernt haben: den Wundertäter, den Krankenheiler, den Mann, der die Menschen satt machen kann an Leib und Seele. Was waren das für Zeiten! Für die Jünger hätte es bestimmt immer so weiter gehen können.

Doch eines Tages war es soweit. Jesus machte sich auf den Weg nach Jerusalem. Was dort geschehen sollte, hatte er bereits mehrmals angekündigt: Leiden und Tod würde ihn dort erwarten. Und hier erst, auf diesem letzten Weg, den uns das Lukasevangelium in großen Strichen vorzeichnet, hier erst sollte ganz deutlich werden, wer Jesus wirklich ist. Hier erst werden auch wir als seine Gemeinde ihn ganz kennen lernen: auf dem Weg nach Jerusalem, auf dem Weg ans Kreuz.

Unser Predigttext handelt davon: Menschen wollen diesen Jesus kennenlernen und sie wollen wissen: wie ist das, wenn ich dir nachfolge. Wohin führt mich dein Weg, Jesus? Was heißt denn das: Nachfolge?

Wir hören aus dem 9. Kap. des Lk:

58 Und als sie auf dem Wege waren, sprach einer zu ihm: Ich will dir folgen, wohin du gehst.

59 Und Jesus sprach zu ihm: Die Füchse haben Gruben, und die Vögel unter dem Himmel haben Nester; aber der Menschensohn hat nichts, wo er sein Haupt hinlege.

60 Und er sprach zu einem andern: Folge mir nach! Der sprach aber: Herr, erlaube mir, daß ich zuvor hingehe und meinen Vater begrabe.

61 Aber Jesus sprach zu ihm: Laß die Toten ihre Toten begraben; du aber geh hin und verkündige das Reich Gottes!

62 Und ein andrer sprach: Herr, ich will dir nachfolgen; aber erlaube mir zuvor, daß ich Abschied nehme von denen, die in meinem Haus sind.

63 Jesus aber sprach zu ihm: Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes.

Drei Menschen stehen da vor Jesus, ganz unterschiedlich sind sie. Zweimal kommen sie mit ihren Fragen, einmal fragt Jesus selbst. Dreimal gibt Jesus eine Antwort, die hart und nicht sehr freundlich klingt. In drei Schritten möchte ich entfalten, was dieser Text über Nachfolge sagt.

Erster Schritt: Leben in der Nachfolge Jesu heißt: ich setze mein Vertrauen nicht auf eine gesicherte Existenz, sondern auf Gott, der mir Heimat und Sicherheit geben wird.

58 Und als sie auf dem Wege waren, sprach einer zu ihm: Ich will dir folgen, wohin du gehst.

59 Und Jesus sprach zu ihm: Die Füchse haben Gruben, und die Vögel unter dem Himmel haben Nester; aber der Menschensohn hat nichts, wo er sein Haupt hinlege.

Toll, würden wir sagen – da kommt endlich einer, der es ernst meint. Der setzt sich ganz ein für seinen Herrn und genauso sicher tritt er auf: Ich will dir folgen, wohin du gehst.

Vielleicht war ihm diese Entscheidung gar nicht so leicht gefallen. Vielleicht hat er lange überlegt. Doch nun ist sein Entschluß klar: Ich will dir folgen, wohin du gehst.

Ich kenne das von mir selbst, liebe Gemeinde. Vor 16 Jahren bin ich in meiner Heimatgemeinde zum Glauben gekommen und damals habe ich für mich auch den Entschluß gefaßt: ich will meinem Herrn folgen, wohin er mich führt. Einige Zeit hat sich dieses Hochgefühl auch gehalten. Doch nach einiger Zeit mußte ich erleben, wie meine Schulkameraden anfingen, mich auszulachen, als ich ihnen davon erzählte, daß ich Christ geworden sei und nun in den Jugendkreis ginge und auch selbst in der Jugendarbeit mitmachte.

Auch mein Entschluß, Theologie zu studieren und Pfarrer zu werden stieß nicht überall auf helle Freude. Kerle, lern was anständiges, hörte ich sehr oft. In dieser Zeit ging mir auf, was Jesus damit meint, wenn er sagt: Die Füchse haben Gruben, und die Vögel unter dem Himmel haben Nester; aber der Menschensohn hat nichts, wo er sein Haupt hinlege.

Wer Jesus ernsthaft nachfolgt, der wird merken, daß sich Dinge in seinem Leben ändern: die alten Freundschaften werden davon genauso berührt wie auch die eigenen Gewohnheiten und Vorurteile. Und manchmal fühlt man sich nicht mehr so recht heimisch in seinem Leben. In vielen Bereichen entwickelt man mit der Zeit andere Maßstäbe als seine Umwelt: gegen Andersdenkende, gegen alte Menschen, gegen Ausländer und Asylanten, in der Frage der Ellenbogen in unserer Gesellschaft. Nein, ganz so locker und leicht läßt es sich nicht leben, wenn man diesen Weg ernsthaft gehen will.

Doch auf dem Weg dieser Nachfolge wird einem auch neue Heimat und neue Sicherheit geschenkt. Denn man merkt plötzlich, daß es viele Menschen gibt, die auch diesen Weg gehen und sich auch diesem Herrn anvertraut haben. Man ist nicht allein, man hat Freunde und Bekannte, die mitgehen. Gott gibt mir Heimat und Sicherheit auf dem Weg, den er für mich vorgesehen hat. Darum kann ich getrost gehen.

Zweiter Schritt: Leben in der Nachfolge Jesu beansprucht meine ganze Person

60 Und er sprach zu einem andern: Folge mir nach! Der sprach aber: Herr, erlaube mir, daß ich zuvor hingehe und meinen Vater begrabe.

61 Aber Jesus sprach zu ihm: Laß die Toten ihre Toten begraben; du aber geh hin und verkündige das Reich Gottes!

Wenn ein Mensch gestorben ist, so ist es Brauch, daß er von der Familie bestattet wird. Das gilt heute, das galt vor 2000 Jahren in Palästina erst recht. Ein frommer Jude wurde durch das Gesetz und die mündliche Überlieferung geradezu verpflichtet, das vierte Gebot genau zu befolgen: Ehre deinen Vater und deine Mutter, auf daß du lange lebest in dem Lande, daß dir der Herr, dein Gott geben wird.

Wenn Jesus diesen Geboten widerspricht, wird deutlich, wie sehr er die Verkündigung des Reiches Gottes allen anderen Dingen – auch den heiligsten und frömmsten Traditionen seiner Zeit und seines Kulturkreises – überordnet.

Ein Nachfolger Jesu, so höre ich da heraus, wird so von dem, was er zu sagen hat, ergriffen sein, daß es keinen Bereich in seinem Leben gibt, der ihn abhalten könnte, dieses Wort zu sagen. Auch dann, wenn er damit gegen gute Sitten und Moral verstoßen könnte. Das Gesetz und die Gebote, die uns in der Bibel gegeben sind, können uns nicht davon entbinden, uns ganz in das Vertrauen auf Jesus zu stellen.

Wer kann das tun? Wer hat solche Kraft, solches Vertrauen?, fragen wir. Ich glaube nicht, daß Jesus gegen das vierte Gebot verstoßen wollte, aber er wollte ganz deutlich machen: Ein Nachfolger Jesu wird mit seiner ganzen Person bei der Sache sein müssen, in allem was er tut. Für ihn reicht es nicht, den Willen Gottes rein äußerlich durch das Befolgen der Gebote zu erfüllen. Nein, ein Nachfolger Jesu wird so ergiffen sein von dem Wort des Lebens, daß er mit seinem ganzen Leben dafür einstehen kann. Ein Nachfolger Jesu steht auf der Seite des Lebens. Er dient dem lebendigen Gott, der da Leben schenken kann, wo vorher nur Tod und Stille waren.

Gott ist bei mir auf dem Weg, zu dem er mich ruft. Darum kann ich Vertrauen haben und diesen Weg getrost gehen.

Dritter Schritt: Leben in der Nachfolge Jesu richtet meinen Blick nach vorn, auf Gottes Kommen in diese Welt.

62 Und ein andrer sprach: Herr, ich will dir nachfolgen; aber erlaube mir zuvor, daß ich Abschied nehme von denen, die in meinem Haus sind.

63 Jesus aber sprach zu ihm: Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes.

Wieder habe ich dieses leichte Unbehagen, wenn ich die Antwort Jesu höre. Sind denn die Familienangehörigen, die Eltern, die Kinder nicht auch wichtig für mein Leben? Ich brauche doch meine Familie, in der ich Schutz und Rückhalt habe. Ist das denn Gottes Wille, daß uns all dies auf einmal nichts mehr wert sein soll?

Darum, liebe Gemeinde, geht es Jesus nicht, denke ich. Auch hier wird nicht die Geltung und Wichtigkeit der Familie in Frage gestellt, sondern es wird klargemacht:

Die Botschaft vom Reich Gottes kann Menschen so tief innen berühren und verwandeln, daß ihnen alles andere, alle natürlichen und zutiefst menschlichen Bindungen dagegen unwichtig werden. Das zeigt: es geht Jesus nicht darum, einen Menschen auf die Probe zu stellen, ob ihm noch etwas an seiner Familie liegt – und diese Bindung dann gleich kaputtzumachen, wie es in heutiger Zeit einige Sekten und Religionsgemeinschaften zu tun pflegen.

Nein, Jesus ist kein Sektenguru. Er will nicht mehr aber auch nicht weniger als unsere ungeteilte Aufmerksamkeit für seine Botschaft, sein Lebenswort. Es geht ihm nicht um unseren Beifall, unsere innere Zustimmung, die ihn in den Himmel lobt und dann zur Tagesordnung übergeht. Nein, es geht ihm um uns als Personen, als ganze Menschen. Er will uns gleichermaßen frei machen von allen Bindungen, die uns fesseln können, die uns zurückhalten, uns ihm ganz anzuvertrauen.

Jesus meint uns, will uns, fragt nach uns. Er zeigt uns in seiner Person und seinem Wort, wie Gottes Reich auf dieser Welt anfängt. Weil wir das sehen, weil das Neue schon angefangen hat, deshalb können wir den Weg seiner Nachfolge getrost und im Vertrauen gehen.

Liebe Gemeinde hier in Weinsberg,

wer Jesus kennenlernen will, der muß ihm nachfolgen. Christsein aus einer sicheren Distanz ist gar nicht möglich. Christsein heißt immer: auf dem Weg sein. Die ersten Christen im Altertum bekamen den Namen: die des Weges sind. Auf diesem Weg lernen wir als Gemeinde unseren Herrn besser kennen und wir lernen darüberhinaus auch uns gegenseitig – als Menschen, als Freunde, als Brüder und Schwestern besser kennen. Jesus sorgt für seine Gemeinde. Er weiß, was wir auf unserem Weg brauchen und er gibt es uns in Fülle, das haben viele Menschen vor uns und unter uns schon erfahren. Ich selbst durfte dies in meiner Zeit als ehrenamtlicher Mitarbeiter in der Heimatgemeinde und als Ausbildungsvikar in Amorbach erleben. Und ich weiß, daß viele weitere Erfahrungen hier in Weinsberg auf uns warten.

Wenn wir nun gleich das Abendmahl feiern, ist auch das ein Zeichen dieser neuen Bindung an unseren Herrn Christus: ER ruft uns in seine Nachfolge, ruft uns heraus aus unseren alten Verflechtungen und Verpflichtungen und macht uns frei für eine neue Gemeinschaft. Ich komme gerne in ihre Gemeinde und ich freue mich darauf, mit ihnen gemeinsam auf dem Weg unseres Herrn zu gehen. Amen.

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