1. Korinther 12,12-27

Liebe Gemeinde!

Wie fühlen Sie sich heute morgen? Haben Sie gut geschlafen? Wie geht es ihren Beinen, sind Sie heute morgen mit dem linken Bein aufgestanden oder mit dem rechten? Wenn Sie so in der Kirchenbank sitzen – haben Sie heute morgen schon einmal ihren Körper gespürt, ihre Arme, ihre Beine, die Schultern?

Meistens haben wir in unseren Tagen ja gar keine Zeit mehr dazu. Wir denken an unsere Arbeit, an all das, was es noch zu erledigen gilt. Daß wir einen Körper, einen Leib haben, ist uns dabei nichts besonderes. Unser Leib ist für uns so selbstverständlich, daß wir gar nicht danach schauen, ob es ihm gut geht.

Vor allem viele junge Leute denken nicht daran. Anders ist es aber, wenn ein Mensch älter wird. Dann meldet sich der Körper immer öfter zu Wort. Die Beine wollen nicht mehr so richtig, die Augen lassen nach und man muß zur Brille greifen.

Die Älteren unter uns erfahren das am eigenen Leibe. Dann werden plötzlich Körperteile, die wir ein Leben lang nicht gespürt haben, sehr aufdringlich. Die Schulter schmerzt, die Beine sind geschwollen beim Treppensteigen, auch der Rücken tut weh, wenn man etwas heben will. Dann merkt man erst, daß der eigene Körper ja aus unterschiedlichen Gliedern zusammengesetzt ist. Dann merkt man auch, wie wichtig es ist, daß ein Mensch verschiedene Glieder besitzt: Beine oder Arme oder Augen. Denn so wird klar, daß sie alle eine ganz bestimmte Aufgabe haben. Und jedes Glied kann für sich ziemlich starke Schmerzen verursachen. Wenn wir Zahnweh haben, fühlt sich der Rest von uns auch nicht sehr behaglich.

Unser heutiger Predigtext lädt Sie ein, liebe Gemeinde, einmal Ihrem Körper mit all seinen Gliedern genau nachzuspüren. Der Apostel Paulus hat ihn als Gleichnis verwendet in einem Brief an die Gemeinde in Korinth. Er schreibt in 1 Kor 12,12-27:

12 Wie der Leib einer ist und doch viele Glieder hat, alle Glieder des Leibes aber, obwohl sie viele sind, doch ein Leib sind: so auch Christus.

13 Denn wir sind durch einen Geist alle zu einem Leib getauft, wir seien Juden oder Griechen, Sklaven oder Freie, und sind alle mit einem Geist getränkt.

14 Denn auch der Leib ist nicht ein Glied, sondern viele.

15 Wenn aber der Fuß spräche: Ich bin keine Hand, darum bin ich nicht Glied des Leibes, sollte er deshalb nicht Glied des Leibes sein?

16 Und wenn das Ohr spräche: Ich bin kein Auge, darum bin ich nicht Glied des Leibes, sollte es deshalb nicht Glied des Leibes sein ?

17 Wenn der ganze Leib Auge wäre, wo bliebe das Gehör? Wenn er ganz Gehör wäre, wo bliebe der Geruch?

18 Nun aber hat Gott die Glieder eingesetzt, ein jedes von ihnen im Leib, so wie er gewollt hat.

19 Wenn aber alle Glieder ein Glied wären, wo bliebe der Leib?

20 Nun aber sind es viele Glieder, aber der Leib ist einer.

21 Das Auge kann nicht sagen zu der Hand: Ich brauche dich nicht; oder auch das Haupt zu den Füßen: Ich brauche euch nicht.

24 Gott hat den Leib zusammengefügt,

25 damit im Leib keine Spaltung sei, sondern die Glieder in gleicher Weise füreinander sorgen.

26 Und wenn ein Glied leidet, so leiden alle Glieder mit, und wenn ein Glied geehrt wird, so freuen sich alle Glieder mit.

27 Ihr aber seid der Leib Christi und jeder von euch ein Glied.

Unser Predigttext, liebe Gemeinde, macht anschaulich, was viele von uns täglich erleben: wenn ein Glied leidet, so leiden alle Glieder mit, und wenn ein Glied geehrt wird, so freuen sich alle Glieder mit.

Der Körper eines Menschen besteht aus unterschiedlichen Gliedern. Alle haben ihre Funktion für den ganzen Menschen. Auf keines kann verzichtet werden. Keines ist wichtiger als das andere. Nur so kann der ganze Mensch leben und arbeiten, für sich und andere.

Paulus sagt: so wie es mit euerem Körperteilen steht, so soll das auch in der christlichen Gemeinde sein. Jeder Mensch in der Gemeinde ist wichtig. Doch so selbstverständlich wie es klingt, war es weder damals, noch heute. Paulus hatte einen guten Grund, so an die Gemeinde in Korinth zu schreiben. Dort ging es nämlich zu wie in anderen Gemeinden auch: man war sich oft nicht einig. Da gab es große Unruhestifter, die behaupteten, besonders wichtig zu sein. „Wir haben eine ganz besondere Gabe, sagten sie: Wir können in Zungen reden. Das können die anderen Gemeindemitglieder nicht. Die sind weniger begabt als wir.“

Da war es nun zu verständlich, daß die Gemeinde sich mit ihren Fragen an den Apostel Paulus wandte: Sind die Gemeindemitglieder, die nicht in Zungen reden können denn nur Christen zweiter Klasse? Gibt es eine Rangordnung unter uns Christen von ganz wichtig bis ganz unwichtig?

Sie sehen, es war damals schon so wie heute. Wir Menschen sehen zwar ein, wenn es um unseren Körper geht, daß alle Körperteile für uns wichtig sind. – Sobald es aber darum geht, in einer Gemeinschaft zusammen zu leben, sind uns die Unterschiede viel wichtiger. Da ist es uns wichtig, ob einer aus einem guten Hause kommt oder nicht. Ob er gebildet ist oder nicht. Ob er oder sie Geld hat oder nicht. Ob er oder sie in guter Gesellschaft lebt und ob ich mir vielleicht durch eine Bekanntschaft mit ihnen Vorteile verschaffen kann.

In unserer Gesellschaft heute wird es scheinbar immer wichtiger, solche Unterschiede zu betonen. Viele Menschen beziehen ihr ganzes Selbstwertgefühl daraus, auf der sonnigen Seite des Lebens zu stehen und es geschafft zu haben: ein Haus, Geld auf der Bank, prominente Freunde und nicht zu denen da unten zu gehören, die weniger haben als ich.

Schließlich machen die Grenzen, die wir aufrichten auch vor dem Glauben nicht halt: Wie schwer nur ertragen wir es, wenn unser Nachbar eine andere Konfession oder ein anderes Glaubensverständnis besitzt, als wir. Wenn er uns zu konservativ oder zu liberal ist, eben, wenn sein Glaube anders ist als unserer.

In einer solchen Welt der Gräben und Grenzen ist es verständlich, wenn es auf der einen Seite Menschen gibt, die sehr viel von sich selbst halten und gerne zur Überheblichkeit neigen: Ich kann alles besser, ich weiß mehr und bin gebildeter – meine Arbeit ist mehr wert als die des anderen. Was ich sage, gilt auch mehr.

Auf der anderen Seite stehen dann die Menschen, die sich eher minderwertig fühlen: Ich kann nichts, ich habe ja nichts zu geben. Mein Leben ist nicht viel wert. Meine Arbeit scheint niemandem etwas zu bedeuten – Was ich sage, gilt ja doch nicht.

Das war die Situation damals in Korinth und der Apostel Paulus hatte es bestimmt nicht leicht, für die Korinther eine passende Antwort zu finden. Hören wir nochmal auf ihn:

12 Wie der Leib einer ist und doch viele Glieder hat, alle Glieder des Leibes aber, obwohl sie viele sind, doch ein Leib sind: so auch Christus.

13 Denn wir sind durch einen Geist alle zu einem Leib getauft, wir seien Juden oder Griechen, Sklaven oder Freie, und sind alle mit einem Geist getränkt.

14 Denn auch der Leib ist nicht ein Glied, sondern viele.

26 Und wenn ein Glied leidet, so leiden alle Glieder mit, und wenn ein Glied geehrt wird, so freuen sich alle Glieder mit.

27 Ihr aber seid der Leib Christi und jeder von euch ein Glied.

Paulus ist es wichtig, daß die Gemeinde, die von Christus gestiftet wurde, auch so lebt, wie es dem Geist Christi entspricht. In drei Schritten möchte ich entfalten, was das für unsere Gemeinde in Amorbach bedeuten kann.

1. Christus baut sich durch die Taufe eine Gemeinde

Zunächst ist wichtig: wir sind durch einen Geist alle zu einem Leib getauft.

Wir sind getauft. Der Grund, daß wir eine Gemeinde geworden sind, liegt nicht bei uns oder an unseren tollen Fähigkeiten. Nicht deshalb, weil es einmal ein paar Menschen in Amorbach gab, die gut singen und predigen und Gruppen oder Kreise organisieren konnten, gibt es heute eine Gemeinde.

Nein, der Grund dafür liegt allein darin, daß Menschen vom Wort Gottes angesprochen wurden und von Jesus Christus in seinen Dienst gerufen wurden.

Mit der Taufe hat uns Gott ein für alle mal zu gesprochen: „Du gehörst zu mir, du gehörst zu meiner Gemeinde, du bist mein Kind. Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein. Niemand kann dich aus meiner Hand reißen.“

Durch die Taufe sind wir nicht mehr allein. Wir leben im Kreis von Brüdern und Schwestern auf der ganzen Erde. Durch die Taufe sind wir nicht mehr uns selbst und unserem Schicksal überlassen, sondern wir gehören zu Christus. Deshalb sind wir befreit dazu, unseren Mitmenschen, der neben uns in der Kirchenbank sitzt, der zuhause auf uns wartet, der uns am Arbeitsplatz begegnet, als Geschöpf Gottes zu sehen.

Die Taufe erst sagt uns, wer wir sind: geliebte Geschöpfe Gottes, die deshalb wertvoll sind, weil sie von Gott geliebt werden. Unser Wert wird uns gültig in der Taufe zugesprochen: du bist gewollt und von Gott geliebt. Diese Zusage gilt, egal ob wir alt oder jung, arm oder reich, zufrieden oder unzufrieden sind. Egal ob wir in der Hauptschule, in der Realschule, im Gynasium oder auf gar keiner Schule waren.

Mit der Taufe hat uns Gott auch seinen Geist geschenkt – das heißt, daß wir im Geist Christi leben dürfen und auf sein Wort hören. Dieser Geist schenkt uns Begeisterung für ihn. Er ist es letztlich, der uns dazu bringt, zusammen Gottesdienste zu feiern, zu beten und auf Gott zu hoffen. Er ist es auch, der uns bekennen läßt: Jesus ist der Herr.

2. Der Geist Christi baut Feindschaft und Mißgunst in der Gemeinde ab

Paulus schreibt: Wir seien Juden oder Griechen, Sklaven oder Freie, und sind alle mit einem Geist getränkt. Denn auch der Leib ist nicht ein Glied, sondern viele.

Auch bei uns gibt es Unterschiede. Meinungen, Vorurteile, Ideen, die sich widersprechen, Mißgunst und Neid. Und es fällt uns im allgemeinen nicht leicht mit diesen Unterschieden umzugehen. Wer wird nicht neidisch, wenn er sieht, wie andere bevorzugt werden, wie sie die besten Plätze bekommen, mehr zu sagen haben oder einfach nur selbstbewußter sind als ich und sich leichter durchsetzen?

Oft halten wir uns nur selbst für die wichtigsten. Dabei vergessen wir ganz, daß auch der andere neben uns von Gott gerufen und beauftragt wurde. Oder wir fangen an, uns mit anderen zu vergleichen und haben vielleicht noch nie versucht, unsere eigenen Fähigkeiten zu erkennen, die wir selbst schon lange haben und die uns von Gott gegeben wurden.

Wenn wir beginnen, auf das zu hören, was Gott uns sagt, werden wir fähig, umzudenken. Wer sich selbst als von Gott gewollt und geliebt erfährt, braucht nicht ständig auf das zu schauen, was andere tun und haben. Der Geist Christi macht uns fähig, uns selbst anzunehmen, so wie wir sind. Denn Gott hat uns zuerst angenommen.

Dann wird der Mutter-und Kind-Kreis neben der Kinderkirche und der Jungschar seine Arbeit tun, der Kirchenchor wird Lieder zur Ehre Gottes singen, genauso wie die Godi-Band und der Posaunenchor, die Arbeit des Frauenkreises und des Seniorenclubs werden Menschen anziehen. Und im ökumenischen Bibelkreis können katholische und evangelische Christen neue Erfahrungen mit der Bibel machen.

3. Der Geist Christi baut seine Gemeinde auf, in dem er unterschiedliche Gaben verteilt

Wenn ein Glied leidet, so leiden alle Glieder mit, und wenn ein Glied geehrt wird, so freuen sich alle Glieder mit. Ihr aber seid der Leib Christi und jeder von euch ein Glied.

Jeder von uns ist Teil dieser Gemeinde. Jeder von uns hat bestimmte Gaben und Fähigkeiten, die er einsetzen kann – nicht dazu, sich selbst groß und unentbehrlich zu machen, sondern dazu, mit seinen Gaben der ganzen Gemeinde zu dienen. Habe ich mich schon einmal gefragt: Welche Gaben und Fähigkeiten habe ich? Welches Glied an einem Körper will oder kann ich sein?

Liegen meine Gaben in den Beinen: bin ich ein guter Sportler, der mit unseren Konfirmanden mal ein Fußballspiel organisieren kann? Habe ich starke Arme und handwerkliches Geschick, um einmal mitzuhelfen bei einem Gemeindefest oder wie es vor kurzem geschah: bei der Kirchenrenovierung anzupacken?

Liegen meine Gaben eher in meinen Händen, die gebraucht werden, um im Frauenkreis zu basteln oder in der Küche etwas zuzubereiten; vielleicht auch einfach einem anderen Menschen, der einsam ist, etwas Nähe zu vermitteln?

Habe ich gute Augen, den ungetrübten Blick fürs ganze, so daß ich Verantwortung tragen kann für die Gemeinde im Kirchengemeinderat oder als Leiter einer Gruppe? Oder habe ich feine Ohren um einem anderen zuhören zu können, wenn er Probleme hat? Liegen meine Gaben bei meiner Stimme, so daß ich im Kirchenchor oder in der Godi-Band immer die richtigen Töne treffen kann? Oder habe ich die Gabe, im Gebet an andere zu denken und Fürbitte zu tun. Diese Beispiele könnten beliebig vermehrt werden.

Vielleicht sind es unscheinbare Dinge, die aber so nötig gebraucht werden. Wichtig ist auf jeden Fall, daß wir keiner dieser Gaben geringschätzen – jeder und jede ist wichtig. Vielleicht entdeckt der eine oder die andere unter ihnen etwas, das sie längst schon hat oder kann und dies auch gerne einsetzen würde. Für jeden von uns gilt: Ihr seid der Leib Christi und jeder von euch ein Glied.

Liebe Gemeinde, als Glieder am weltweiten Leib Jesu Christi haben wir Grund, Gott zu danken, daß er uns in der Taufe in seine Gemeinschaft gerufen hat. Wir wollen ihn bitten, uns durch seinen Geist zu zeigen, wie wir als seine Gemeinde leben sollen. Das wollen wir tun mit dem Lied 772: „Komm in unsere stolze Welt“. Amen.

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