Kirche im Urlaub und auf Reisen

Vorbei am Beate-Uhse-Shop, dann Richtung Glücksspielhalle, so findet man auf dem Stuttgarter Flughafen den Andachtsraum. Als „Kirche am Tor der Welt“ und als Vorposten der Kirche in der Gesellschaft sieht Karl-Heinz Jaworski die „Stuttgart Airport Seelsorge“. Der Fachbereichsleiter „Kirche in Freizeit und Tourismus“ der Evangelischen Landeskirche in Württemberg berichtet mit leuchtenden Augen von einem zweiten außergewöhnlich Ort, an dem seine Kirche präsent ist: „In Stuttgart ist die Messe gleich neben dem Flughafen. Auch auf der Neuen Messe betreiben wir einen wunderbaren Andachtsraum.“ Ein Kreuz, ein Altartisch und einige wenige Stühle. Neben der Bibel steht im Regal auch der Koran. „Mitten im hektischen Treiben laden die Kirchen zur Andacht ein, was auch immer das für den Einzelnen mit seiner je eigenen Religion und Geschichte bedeuten mag.“Flughafen- und Messeseelsorge sind zwei von zahlreichen touristischen Arbeitsfeldern, in denen Kirche ihren Auftrag wahrnimmt. „Kirche und Tourismus sind zwei starke Partner“, betont der Vorsitzende des Rates der EKD, Präses Nikolaus Schneider. Zusammen mit dem Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, besucht er das erste Mal die weltweit größte Tourismusmesse, die ITB in Berlin. „Urlaub und Freizeit gehören zu den wertvollsten Zeiten im Leben der Menschen. Deshalb treten wir als Kirche für das Recht jedes Menschen auf Freizeit und Erholung ein und halten eine Vielzahl von Angeboten für Menschen unterwegs bereit.“In den über 15.000 evangelischen Gemeinden im In- und Ausland gibt es viel zu entdecken, mitunter an ganz ungewohnten Orten kirchlichen Lebens. Die evangelische Kirche ist zu finden auf über 50 Campingplätzen, in 38 Autobahnkirchen und -kapellen, auf fünf Kreuzfahrtschiffen mit über 50 Einsätzen im Rahmen der Bordseelsorge. Ein Großteil der über 20.000 Kirchengebäude wird für Besucherinnen und Besucher verlässlich offen gehalten. Gottesdienste im Grünen, Kloster auf Zeit, Begleitung von Pilgern auf den zahlreichen Pilgerwegen, Radwegekirchen – evangelische Kirche versteht sich als Begleiterin aller Menschen, die sich auf einem Weg befinden.Ein besonders schönes Kennzeichen des kirchlichen Engagements an der Schaltstelle zum Tourismus ist die in vielen Feldern praktizierte ökumenische Zusammenarbeit. Eine Übersicht über die kirchlichen Handlungsfelder im Tourismus bietet eine jetzt erschienene Broschüre unter dem Titel „Kirche in Freizeit und Tourismus“ und die dazugehörige Internetseite www.ekd.de/freizeit-und-tourismus.Das Thema Tourismus gehört zu den Zukunftsthemen der Kirche. Laut einer Studie der Stiftung für Zukunftsfragen aus dem Jahr 2011 hat sich das Reiseverhalten der Deutschen deutlich verändert. Die Motivation bei der Buchung der Urlaubsziele speist sich nicht mehr allein aus dem Wunsch nach Entspannung. Zunehmend gesucht wird aktive Erholung, mit Interesse an spirituellen Erfahrungen. Die Holidays werden somit für viele zu „holy days“. Ein Drittel der Urlauber baut den Besuch religiöser Orte ins Urlaubsprogramm oder kann sich vorstellen, ein kirchliches Angebot zu nutzen. Mehr als ein Fünftel besucht im Urlaub einen Gottesdienst, 16 Prozent können sich einen Aufenthalt im Kloster vorstellen.Im Zentrum des Besuches der Vorsitzenden der beiden großen deutschen Kirchen steht das ITB-Kirchenforum, seit mehr als 30 Jahren etablierte Plattform für den Austausch von Kirche, Gesellschaft und Wirtschaft im Bereit des Tourismus. Gemeinsam mit Vertreterinnen aus Kirche und Tourismus diskutieren Erzbischof Zollitsch und Ratsvorsitzender Schneider das Thema „Reif fürs Paradies. Glücksverheißung in Kirche und Tourismus.“So wertvoll der Urlaub für das Leben der Menschen ist, so sehr steht er zugleich in der Gefahr, mit übergroßen Erwartungen aufgeladen zu sein. Die wenigen Tage im Jahr sollen zu einer ganz besonders tollen Zeit, mit intensiven Naturerlebnissen, spannenden Bekanntschaften, erholsamen und zugleich anregenden Erfahrungen für Körper, Geist und Seele werden. Ein solcher Erwartungsdruck wird von den Touristikanbietern zum Teil kommerziell bewusst geweckt. Die Kirche steht einem solchen „Erwartungsdruck des Glückerlebens“ kritisch gegenüber. Ihr Auftrag besteht deshalb in einer heilsamen Desillusionierung: Zusammen mit den Menschen müssen Wege gefunden werden, wie der Mensch mit der unerfüllbaren Sehnsucht nach dem Himmel auf Erden umgeht und die Sehnsucht danach dennoch einen Raum findet, ohne falsche Versprechungen.Kirche ist daneben auch kritisches Gegenüber allen Versuchen der Selbstverwirklichung auf Kosten anderer. Urlaub darf nicht verbunden sein mit Raubbau an der Natur. Die Interessen der Einheimischen in den besuchten Ländern müssen geachtet, die Reiseangebote nachhaltig ausgerichtet sein. Und nicht zuletzt setzt sich Kirche dafür ein, dass in der Tourismusbranche faire Arbeitsbedingungen herrschen.Karl-Heinz Jaworski blickt von Stuttgart aus auch auf eine besonders große Herausforderung der kommenden Jahre. „Der 500. Jahrestag der Reformation wird viele Gäste aus der ganzen Welt nach Deutschland führen. Sie werden die Stätten der Reformation aufsuchen und gemeinsam mit uns das Jubiläum feiern. Gastfreundschaft ist seit jeher ein Zeichen von uns Christen. Wir werden alles dafür tun, dass wir uns als ein gastfreundliches und konfessionell-befriedetes Land präsentieren.“
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Evangelische Kirche in Deutschland: Editorials

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