Sommerzeit

Koch meint…

Also aus uns beiden, das heißt aus der Sommerzeit und mir, wird ganz sicher kein Liebespaar mehr. Im Gegenteil: Ich bin der um eine Stunde vorgestellten Uhr in herzlicher Abneigung verbunden! Trotzdem scharwenzelt sie auch in diesem Jahr wieder um mich herum und versucht mich zu bezirzen. Ich aber zeige ihr die kalte Schulter. Weil man sich von der Sommerzeit besser nicht verführen lässt. Sonst hat sie einen im Nu um den Schlaf gebracht.

Das fängt schon damit an, dass sie nie pünktlich kommen kann. Immer ist sie sechzig Minuten zu früh dran am letzten Sonntag im März. Was ich selber gar nicht mag. Weil dann mein Wecker zur Unzeit klingelt und mich noch bälder als sonst aus den Federn steigen lässt. Denn mithalten will ich schon mit ihr, auch wenn die Sommerzeit nicht meine große Liebe ist.

Eigentlich hat sie, schon seit es sie hierzulande gibt, also seit 1977 bei mir verspielt. Wie hätte ich ihr auch nicht auf die Schliche kommen sollen! Macht sich an einen ran als Ökotussi und hat dabei doch nur eines im Sinn: unser Leben durcheinanderzubringen. Weil mit dem einen Mal früher Aufstehen ist’s ja nicht getan. Ich jedenfalls leide jedes Mal eine ganze Woche lang unter der einen kurzen Nacht mit ihr. Und auch sonst tut sie alles, um mich, wie gesagt, um den Schlaf zu bringen. Hält die Leute im Biergarten vor meinem Wohnzimmer bis in die Nacht hinein fest. Hat die Kinder früher nicht ins Bett gehen lassen. Und drüben im Schulhof wummern die Bässe, bis endlich die Sonne hinter dem Streetballkorb versinkt.

Wobei manchmal schreibt die Sommerzeit auch nette Geschichten. So wie an diesem Sonntag, als ein Mädchen viel zu früh zur Kinderchorprobe kommt. Warum? Weil Mutter und Tochter beide die Uhr um eine Stunde vorgestellt, sich davon gegenseitig aber nichts gesagt haben.

Übrigens kommt die Sommerzeit so wie McDonald’s über den Großen Teich. Nur dass sie sehr viel älter und wohl von Benjamin Franklin „erfunden“ worden ist. Der Staatsmann, Diplomat und Alleskönner hat, als er Botschafter der USA in Frankreich war, einer Pariser Zeitschrift gegenüber seinen hohen Kerzenverbrauch beklagt und in diesem Zusammenhang den Vorschlag einer jährlichen Zeitumstellung gemacht. Heute ziert Franklins Porträt den 100-Dollar-Schein, und unsereins hat den Salat: alle Jahre wieder von März bis Oktober die Sommerzeit.

Die ich, wie gesagt, nicht mag und deshalb eigentlich ans Auswandern denken müsste. Nach Saskatchewan zum Beispiel. Weil es dort, also mitten in Kanada, keine Zeitumstellung gibt. Oder soll ich es doch lieber mit Paul Gerhardt versuchen? Der hat gedichtet: „Geh aus, mein Herz, und suche Freud in dieser lieben Sommerzeit!“ Und hat doch etwas ganz anderes damit gemeint.

Nun denn: Am letzten Sonntag im Oktober ist der Spuk auch dieses Jahr wieder vorbei. Und bis dahin werde ich es schon aushalten mit der Sommerzeit. Aber mehr als eine Vernunftehe wird das ganz sicher nicht.

Das meint Koch. Und was meinen Sie?


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