Römer 6,19-23

Liebe Gemeinde,

für viele unter uns beginnt in diesen Tagen der Urlaub, die Freizeit. Manche bleiben zu hause, andere fahren in dieser Zeit weg, möglichst weit, um einmal so richtig ausspannen zu können. Ausspannen und sich erholen, frei sein vom Alltag, das wollen alle Menschen in dieser Zeit: Abstand gewinnen vom Berufsleben, das einen fordert, manchmal auch überfordert und krank macht; Raus aus den bekannten Sachzwängen, Terminzwängen und Leistungszwängen; ganz frei sein, ganz sich selbst sein können; endlich einmal Zeit haben für das, was mir wirklich wichtig ist und wozu sonst im Jahr über meist zuwenig Zeit bleibt: die Familie, Freunde, Verwandte, das Hobby.

Hinter diesen Wünschen steckt eine große Sehnsucht: Wir möchten nicht nur irgend etwas erleben, sondern wir möchten uns selbst neu erleben, nicht nur die Tapeten wechseln, sondern die Rollen wechseln – einmal ganz aus der alten Haut hinaus, einmal neu werden an Leib und Seele – das ist eigentlich unser Wunsch. Wir wollen frei sein von dem, was wir sein müssen. Es geht um totale und radikale Veränderung der ganzen Existenz!

Darum, liebe Gemeinde, geht es auch in unserem heutigen Predigttext: um totale und radikale Veränderung der ganzen Existenz. Der Apostel Paulus schreibt davon der Gemeinde in Rom. Wir hören aus Römer 6,19-23:

Ich muß menschlich davon reden um der Schwachheit eures Fleisches willen: Wie ihr eure Glieder hingegeben hattet an den Dienst der Unreinheit und Ungerechtigkeit zu immer neuer Ungerechtigkeit, so gebt nun eure Glieder hin an den Dienst der Gerechtigkeit, daß sie heilig werden.

Denn als ihr Knechte der Sünde wart, da wart ihr frei von der Gerechtigkeit.

Was hattet ihr nun damals für Frucht? Solche, deren ihr euch jetzt schämt; denn das Ende derselben ist der Tod.

Nun aber, da ihr von der Sünde frei und Gottes Knechte geworden seid, habt ihr darin eure Frucht, daß ihr heilig werdet; das Ende aber ist das ewige Leben.

Denn der Sünde Sold ist der Tod; die Gabe Gottes aber ist das ewige Leben in Christus Jesus, unserm Herrn.

Freiheit – bei uns und Paulus

Frei sein – vom Alltag; frei sein vom Streß – das alles kennen wir. In unserem Text aber redet Paulus von der Freiheit von Sünde und Tod. Das ist wohl eine Nummer größer, wie man heute zu sagen pflegt.

Freiheit, liebe Gemeinde, ist ein altes Ideal. Für die Menschen aller Zeiten und Völker war sie immer schon eines der höchsten Güter. Die Französische Revolution kämpfte für Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit.

Doch es gibt einen großen Unterschied im Gebrauch des Wortes „frei“ bei Paulus und bei uns. Denn für unser Verständnis ist jemand frei, der über sich selbst bestimmen kann; der sagen kann: „mein Leben habe ich selbst in die Hand genommen“. Freiheit ist dann für uns ein Zustand, eine Eigenschaft. Keinen Herrn über sich zu haben ist dabei wesentlich.

Paulus dagegen sieht Freiheit immer zusammen mit dem, was sie bedroht. Daher ist Freisein für ihn nicht Selbstbestimmung oder eine Eigenschaft, sondern errettet sein aus etwas, befreit sein aus etwas. Es ist immer Freiheit von etwas, das uns bedrohte. Freiheit ist kein Wert für sich, sondern der Wert sind wir selbst. Daher ist die alles entscheidende Freiheit die vom Tod, der uns zerstören will.

Für uns ist Freiheit, wenn wir keinen Herrn mehr über uns haben. Für Paulus dagegen ist Freiheit, wenn wir dem Tod entrissen sind. Und dafür nimmt er es auch in Kauf, daß wir als befreite Christen einen Herrn über uns haben.

Dabei denkt Paulus wohl an die Szenerie eines antiken Sklavenmarktes. Christwerden, sagt er, ist, wie wenn Sklaven von einem Herrn an den anderen verkauft werden. Und nun vergleicht er diese beiden Herren: Die alte Herrschaft war die unter Sünde und Tod, die uns beide zerstören wollten. Die neue Herrschaft, für die uns unser neuer Herr erworben hat, ist dagegen eine beschützende, eine, die uns vor dem Tode rettet und unser Herz vor dem Zerissenwerden. Es ist eine Schutzherrschaft.

Paulus würde uns wohl kritisch anfragen: „Ihr Menschen von heute kämpft immer wieder für die Freiheit von jeglichen Herren: gegen große und kleine Diktatoren, gegen die schlechten Arbeitsbedingungen, die euch einengen; gegen alle, die Haß und Unfrieden säen wollen in euerem Leben. Das ist gut so, denn diese Herren und Mächte haben kein Recht, euch zu beherrschen. Aber am Ende meint ihr, auch ohne Gott als den Herrn auskommen zu können. Ihr schüttet das Kind mit dem Bade aus. Alle euere Freiheitskämpfe sind recht und gut. Aber sie bleiben doch nur an der Oberfläche, wenn ihr überseht, daß der eigentliche Feind der Tod und seine Vorboten sind, alles, was euch von innen her zerfrißt und zerstört.“

Vielleicht braucht es gerade einmal eine freie Zeit im Jahr, um festzustellen, wie tief und stark wir selbst verstrickt sind in die vielen Dinge des Lebens, die uns unfrei machen und den Tod zur Folge haben.

Als erstes nehmen wir die Stille wahr, wenn wir die Ferien außerhalb der Stadt beginnen. Wir bekommen wieder ein Gespür für Sonne und Wind. Als an Hochhäuser Gewöhnte lernen wir wieder, den Himmel zu sehen und sein Blau wahrzunehmen. Erst nach ein paar Tagen spüren wir unseren ausgelaugten Körper, unsere Müdigkeit, unsere Leere. Erst dann kann auch der Urlaub der Seele beginnen.

Wenn wir dann ehrlich bleiben und nachdenken über unser Leben, werden wir entdecken, wo und wie der Tod regiert in unserem Leben: dort, wo wir unseren Erfolg höher schätzen als unsere Freundschaften, wo uns Gunst und Ansehen über alles geht; dort, wo wir mit unseren Ellenbogen nach unserem Mitmenschen schlagen, weil uns unsere Karriere wichtiger ist; dort, wo wir mit unserem Mund schnell und leichtfertig über andere urteilen und Gerüchte aussenden; Beleidigungen, die töten können; dort, wo wir verlernt haben, mit unseren Händen andere zu berühren und stattdessen die Hand zur Faust ballen; dort, wo wir gleichgültig geworden sind gegenüber der bedrohten Schöpfung, und weiter auf die Kosten unserer Nachkommen leben.

Wenn wir ehrlich bleiben, spüren wir gerade in diesen Tagen der Freizeit und des Urlaubs, wie unser ganzer Leib, unser ganzer Mensch verstrickt ist in diese Zusammenhänge, die uns selbst und die Beziehung zum Mitmenschen, zur Umwelt, zu Gott zerstören. Jeder von uns ist selbst als Opfer und Täter zugleich mitten in den Zusammenhängen, die so klebrig sind, daß man sie nie los wird. Die Bibel nennt diese Zusammenhänge „Sünde“.

Wahre Freiheit ist nur in der Bindung an Gott zu erlangen

Liebe Gemeinde, für Paulus ist klar: die Freiheit vom Tod können wir uns nicht selbst erkämpfen, weil sie unser eigenes Leben, unser eigenes Ich betrifft. Wir können uns nicht am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen. Nein, die Befreiung von der Macht des Todes gibt es nur im Rahmen einer neuen Verbindlichkeit, die ich eingehe mit dem Herrn des Lebens. Wir wurden wie Sklaven aufgekauft von einem neuen Herrn. Er ist zwar auch ein Herr, aber ein guter. Aber nur wer in seinem Haus lebt und sich an dessen Ordnung hält, kann das Erbe erhalten, das dieser Herr seinen Dienern vermacht. Diese neue Verbindlichkeit muß es deshalb geben, weil wir von diesem Herrn, was die Freiheit vom Tod anbelangt, ganz und gar abhängig sind.

Einen Punkt in unserem Leben gibt es nun, an dem man ganz genau festmachen kann, daß wir von Sünde und Tod errettete Menschen sind: es ist die Taufe. In der Taufe werden wir untergetaucht und sinnbildlich stirbt dabei unser alter Mensch, der von Sünde und Tod beherrscht war. Und wir erheben uns und stehen damit gleichsam auf zum neuen Leben mit Christus. Wir sehen das Kreuz Christi und glauben dem Wort, daß der Gekreuzigte auferstanden ist; wir sehen Brot und Wein und glauben dem Wort, daß sich der Auferstandene darin selber gibt. Wir sehen das Wasser und glauben dem Wort, daß in ihm all unsere Schuld und Verlorenheit ein-für allemal abgewaschen ist. Wir sehen unser Leben – mit seinen Sehnsüchten und Hoffnungen, mit seiner Schuld und seinem Glück, mit seinem Leben und seinem Sterben – und wir glauben dem Wort, daß dieses Leben von Gott gesegnet ist und nicht dem Tode überlassen wird.

Wer sich in diese neue Abhängigkeit zu diesem anderen Herrn begeben hat, ist Christ, d.h. „Königskind“ geworden. Als Königskind kann ich mit erhobenem Haupt durch die Welt gehen und mein Leben in den Dienst meines Herrn stellen. Ich kann meine geballte Faust öffnen und dem Mitmenschen darreichen; ich kann aufhören, meinen Ellenbogen zu gebrauchen und anfangen auch danach zu schauen, was dem anderen nützt. Ich kann meinen Mund öffnen und beginnen, wahr und frei von dem zu reden, wovon ich überzeugt bin, ohne ständig über andere herziehen zu müssen. Ich werde beginnen, Sorge zu tragen für mein Leben und für das Leben anderer, hier und überall auf der Welt.

Liebe Gemeinde, Martin Luther hat sich in großer Not und Anfechtung mit dem Satz getröstet: „Ich bin getauft!“ Er gab ihm Mut und Zuvrsicht. Wenn Sie und ich in den Stunden, in denen wir ehrlich zu uns sind und eine Lebensbilanz ziehen, die uns vielleicht erschrecken oder erschüttern mag, wenn wir uns in diesen Stunden jenen Satz vor Augen halten, kann er auch uns eine Hilfe sein: „Ich bin getauft! Ich bin geliebt! Mein Leben hängt nicht ab von den Herren und Mächten dieser Welt! Ich habe einen Herrn, der es gut mit mir meint. Ich bin getauft!“ Amen.

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