Römer 14,10-13

Wer bist du, daß deinen Bruder verurteilst? Oder wer bist, daß du deinen Bruder verachtest? Wir alle müssen vor dem Richterstuhl Gottes erscheinen! Es steht nämlich geschrieben: „Ich lebe wirklich,“ spricht der HERR. „Jedes Knie wird sich vor mir beugen. Jede Zunge wird Gott lo-ben!“ Darum wird auch jeder von uns über sich selbst bei Gott Rechenschaft ablegen.

Liebe Gemeinde!

„Haben Sie schon gehört?“ – Das ist meistens die Einleitung zu solchen Gerüchten, die der menschlichen Gemeinschaft oft das Leben zu schwer machen. Aber andererseits macht es ja irgendwie Spaß, den neuesten Klatsch und Tratsch zu hören: aus den Nachbarzimmern, aus der Stiftsstube, aus der Stadt. Man ist ja mehr oder weniger neugierig und möchte gern wissen, wie es um andere Leute bestellt ist und was da so vor sich geht.

Manche Gerüchte sind ja auch im nachhinein ganz niedlich. Welche Romanze bahnt sich gerade an, wer kann mit wem gerade besonders gut, usw. Aber andererseits kann das auch sehr verletzend für die Betroffenen sein: wer möchte schon gern eine Romanze oder gar einen Fehltritt angedichtet bekommen, wenn nichts dran ist. Wer hat es schon gern, wenn über sein Privatleben so ausführlich hergezogen wird?!

Natürlich gibt es harmlose Gerüchte, aber bisweilen ist die Grenze zum Rufmord fließend. Da wird jemanden ein Fehlverhalten unterstellt. „Haben Sie schon gehört?“

Schlimmer ist es, wenn jemanden eine negative Eigenschaft unterstellt wird: Frau F. ist eigentlich ganz schön faul! Oder Herr G.. ist einfach geldgierig. Herr W. ist ein ganz schlimmer Weiberheld. Oft sind es die kleinen unbedachten Nebenbemerkungen, welche große und schlimme Folgen haben.

Ein Märchen aus Asien erzählt, daß ein Schüler zu einem Meister ganz aufgeregt gelaufen kommt und ihm erzählen will, was er über einen Dritten Schlimmes gehört habe. „Warte!“, sagt ihm der Meister, „hast du das Gehörte mit den drei Sieben geprüft?“ – „Welche drei Siebe denn?“, fragt der Schüler. Das erste Sieb ist die Frage nach der Wahrheit: Ist es wahr, was du gehört hast?“ – „Ja, aber alle sagen es.“ – „Das zweite Sieb ist die Frage nach dem Nutzen: Welchen Nutzen bringt es, was du da erzählst?“ Der Schüler schweigt. Der Meister fährt fort: „Das dritte Sieb ist die Liebe: Baut es deinen Mitmenschen auf oder schadet es ihm, wenn du so über ihn redest. Deshalb prüfe das Gehörte erst mit diesen drei Sieben, und dann magst du kommen und es mir erzählen.“

Ja, was wären wir doch für eine feine Gesellschaft, wenn wir alle gehörten Gerüchte mit diesen drei Sieben prüfen würden. Nicht jedes Gerücht ist wahr! Selten bringt ein Ge-rücht irgendeinen Nutzen. Zu oft ist das Gerücht ein Indiz fehlender Nächstenliebe.

Wir haben ja alle unsere Zehn Gebote gelernt. Das achte Gebot, wie war es noch mal? „DU SOLLST NICHT FALSCH ZEUGNIS REDEN WIDER DEINEN NÄCHSTEN!“ Der Reformator Martin Luther erklärt das in seinem Kleinen Katechismus so: „Wir sollen Gott achten und lieben, daß wir unseren Nächsten nicht belügen, verraten, verleumden oder seinen Ruf verderben, sondern wir sollen ihn entschuldigen, Gutes von ihm reden und alles zum besten kehren.“

Erst die Liebe läßt uns die Gebote halten. Es fällt uns schwer, den anderen zu entschuldigen. Es fällt uns auch schwer, Gutes vom schwierigen Mitmenschen zu reden. Es fällt uns schwer, die Dinge positiv zu sehen, wenn wir sie lieber in schwarzen Farben betrachten wollen. Erst die Liebe hilft, dieses Gebot zu halten. Erst die Liebe macht aus dem Verbot ein Gebot! Vom Neuen Testament her lernen wir, daß die Liebe ein Geschenk Gottes ist. Gott, der uns die Gebote gegeben hat, schenkt uns auch seine Liebe, damit wir sie auch tun. Die Liebe Gottes gibt uns die Kraft, den schwierigen Mitmenschen zu ertragen.

Auch der störrische Nachbar ist ein geliebtes Kind Gottes zu sehen. Die Liebe hilft, Verständnis zu haben. Die Liebe ist langmütig und freundlich, die Liebe eifert nicht, die Liebe treibt nicht Mutwillen, sie bläht sich nicht auf, sie verhält sich nicht ungehörig, sie sucht nicht das Ihre, sie läßt sich nicht er-bittern, sie rechnet das Böse nicht zu, sie freut sich nicht über die Ungerechtigkeit, sie freut sich aber an der Wahrheit; sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles. (1. Kor. 13, 4-7) Deshalb sollen wir „Gott achten und lieben, daß wir unseren Nächsten nicht belügen, verraten, verleumden oder seinen Ruf verderben, sondern wir sollen ihn entschuldigen, Gutes von ihm reden und alles zum besten kehren.“

„Wir alle müssen vor dem Richterstuhl Gottes erscheinen!“, mahnt unser Predigttext. Wir werden alle einmal Rechen-schaft ablegen müssen. Doch worüber? Ich glaube, daß wir einmal weniger über unsere guten oder schlechten Taten werden Rechenschaft ablegen müssen. Vielmehr werden wir im Jüngsten Gericht nach unserer fehlende Liebe gefragt werden. Gott hat uns seine Liebe geschenkt! Welchen Gebrauch machen wir von der Gabe seiner Liebe?

Die Liebe hilft uns, dem Mitmenschen mit Verständnis und Achtung zu begegnen. In der Weltstadt Rom sind damals alle Völker und Kulturen der Welt auf engen Raum zusammen gekommen. Auch in der kleinen und jungen Christengemeinde gab es sicherlich ein buntes Völkergemisch. Da gab es ganz unterschiedliche Gewohnheiten, Meinungen und Auffassungen. Warum soll nicht jeder seine eigene Tradition und Meinung pflegen?

Wichtig ist der gemeinsame Nenner, welcher die Christen zusammenhält: Jesus Christus. Niemand von uns lebt für sich selbst! Niemand stirbt von selbst. Wenn wir leben, dann leben für den Herrn. Wenn wir sterben, so sterben wir im Herrn! Ob wir nun leben oder sterben, immer gehören wir dem Herrn! (Römer 14,7+8). Die Liebe zu Christus und die Liebe zum Mitchristen ist die Hauptsache, alles andere ist nebensächlich! Es steht uns wirklich nicht zu, den Anderen wegen seiner Andersartigkeit zu verurteilen oder zu verachten. So wollen wir uns um den Frieden bemühen und einander einen festen Halt geben. (Römer 14,19)

Was Paulus der jungen Christengemeinde im alten Rom empfiehlt, das muß auch für uns gelten. Denken wir nur an die Gemeinschaft mit unseren katholischen Brüdern und Schwestern, mit den Christen in den Gemeinschaften und den Freikirchen. Jeder und jede lebt ihren Glauben auf eigene Weise. Vielleicht ist es nicht unsere Art, wie der andere lebt. Wir mögen uns über unsere Mitchristen noch so sehr wundern, wir dürfen sie aber keineswegs verurteilen oder verachten. Das steht uns nicht zu! Die Hauptsache ist, daß wir alle in ökumenischer Vielfalt unserem Herrn Jesus Christus dienen! Die Liebe Gottes hilft uns, mit der Verschiedenheit und Andersartigkeit der Menschen zu leben! Gott helfe uns, daß am Ende der Tage jedes Knie sich vor ihm beugt und jede Zunge Gott lobt! Amen.

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