2. Mose 16,2-21

Liebe Gemeinde,

wer vor zwei Jahren im Sommer die Medien beobachtet hat, stieß immer wieder auf Nachrichten aus Ruanda. Das Schicksal der hunderttausenden von Flüchtlingen, die dem drohenden Hungertod zu entkommen trachteten, rief die Öffentlichkeit auf den Plan. Hilfswerke wie das Rote Kreuz, die UNO und andere, versuchten durch Hilfslieferungen das Schlimmste zu verhindern. So kam es, daß ein ganzes Volk inmitten einer Wüstenlandschaft überleben konnte; Brot und Wasser fand es zur rechten Zeit. Gut daß es solche Hilfswerke gibt, werden sie sagen, und wenn sie zur rechten Zeit zur Stelle sind ist es noch besser.

Unser heutiger Predigttext aus dem 2. Buch Mose, Kapitel 16, führt uns auch in die Wüste. Wir werden Zeuge, wie das Volk Israel sich aufgemacht hat in die Freiheit. Aus dem Sklavenhaus in Ägypten hatte Gott es befreit. Nach langer Zeit der Unterdrückung, Ausbeutung und Knechtschaft waren sie losgezogen. Das Ziel, das ihnen versprochen war, hatte einen paradiesischen Namen: ein Land, in dem Milch und Honig fließt. Dorthin waren sie mit ihren beiden Führern, Mose und Aaron, aufgebrochen. Doch die Freiheit hat ihren Preis. Der Weg zu ihr führt durch die Wüste.

Da sind sie nun, in der Wüste. Nun war alles schlimmer als je zuvor. Die Brotvorräte, die sie mitgenommen hatten, waren nach gut einem Monat fast aufgebraucht. Und kein Hilfswerk, kein Rotes Kreuz war in Sicht, das etwas an dieser Lage ändern konnte. Die Kinder fingen wohl zuerst an zu klagen: Mutter, gib uns Brot, wir haben Hunger. Dann waren es die Mütter, die zu ihren Männern liefen und sich beklagten: Mann, gib uns Brot, deine Kinder schreien. Schließlich versammelten sich alle bei Mose und Aaron. Wütende Blicke waren nun auf die beiden gerichtet: „Wollte Gott, wir wären in Ägypten gestorben durch des Herrn Hand, als wir bei den Fleischtöpfen saßen und Brot die Fülle zu essen hatten. Denn ihr habt uns herausgeführt in diese Wüste, daß ihr diese ganze Gemeinde an Hunger sterben laßt.“, riefen sie.

Harte und bittere Worte waren es, die gesprochen wurden. Doch ebenso verständlich: wenn der Magen anfängt zu knurren, ist es meist mit der guten Laune vorbei. Wenn die gute Laune fehlt, geht bald auch das Vertrauen in den Sinn und das Ziel des Weges verloren. So ging es auch den Israeliten. Und mit der guten Laune warfen sie auch ihr Vertrauen über Bord, und alles was sie bisher mit ihrem Gott erlebt hatten: Hatten sie nicht die Erfahrung gemacht, daß sich plötzlich unüberwindbar geglaubte Grenzen geöffnet hatten, damals am Roten Meer, als die Wasserfluten sich teilten und sie trockenen Fußes das andere Ufer erreichten? Waren sie nicht danach zur Oase Elim gelangt, die 12 Wasserquellen und 70 Palmen hatte? Alles, was das Herz begehrte fanden sie dort; da schien das Gelobte Land nicht mehr weit.

Der Weg in die Freiheit führt durch die Wüste. Wer frei sein will, muß sich zuerst aus alten Bindungen und Gewohnheiten frei machen. Er muß lernen, dem Weg der neu gewonnenen Freiheit zu trauen. Das mußten auch die Israeliten nun erleben. Und so standen sie vor Mose und Aaron und machten ihrem ganzen Unmut lautstark Luft. Was sie sagen, kommt uns bekannt vor: „Früher war alles besser! Warum habe ich mich nur darauf eingelassen, hierher zu kommen! Hätte ich doch nie auf dich gehört!“ So oder ähnlich reden wir selbst oft, wenn uns die gute Laune und unser Vertrauen in die Zukunft abhanden gekommen ist. Dann gibt es scheinbar nichts mehr, was uns trösten kann. Vergessen haben wir, warum wir uns auf dem Weg befinden, vergessen haben wir unser Ziel.

Was wird nun geschehen? Wird Mose den Befehl zur Umkehr geben? War alles umsonst? Da spricht Gott zu Mose: „Ich habe das Murren der Israeliten gehört. Sage ihnen: Gegen Abend sollt ihr Fleisch zu essen haben und am Morgen von Brot satt werden und sollt innewerden, daß ich, der Herr, euer Gott bin.“ Gott tut die Klagen der Israeliten nicht leichtfertig ab. Er nimmt den Hunger seines Volkes ernst. Und gerade darin erweist er sich als der Herr der Lage.

Was nun geschieht, sollte die Israeliten in Staunen versetzen. Gott macht sein Versprechen wahr: Er stillt den Hunger seines Volkes. In der Abenddämmerung ziehen Wachteln am Himmel über das Lager. Sie sind auf dem Weg nach Norden. Müde von ihrem langen Flug, machen sie Rast in der Wüste. So erschöpft sind die Vögel, daß man nur hinausgehen muß und sie einfangen. Alles geht so einfach. Als die Israeliten am nächsten Morgen aus ihren Zelten kommen, da staunen sie wieder: Rings um das ganze Zeltlager ist der Wüstenboden mit weißgelben Körnern bedeckt. Wie große gefrorene Tautropfen liegen sie zwischen den Steinen und auf dem Sand. Noch etwas ungläubig und zögernd heben sie einige von den Körnen auf und essen davon. „Man hu?“ – „Was ist das?“ – fragen sie erstaunt. Mose sagt: „Es ist das Brot, das euch der Herr zu essen gegeben hat.“

Nun sammeln auch die Kinder und essen. Sie rufen voll Freude: „Das Manna ist gut, es schmeckt süß, wie frische Brötchen mit Honig.“ Von den Blättern der Tamariskenbüsche sind sie herabgefallen, die süßen Körner. Das passiert bis auf den heutigen Tag in der Wüste, wenn Insekten in die Blätter stechen und in der kühlen Nacht der Saft heraustropft und gefriert. Seltsam: warum war keinem von ihnen das bisher aufgefallen? Haben sie es einfach übersehen?

Mose gibt den Befehl: „Jeder soll davon sammeln, soviel er zum Essen braucht, einen Krug voll für jeden nach der Zahl der Leute in seinem Zelt.“ Und die Israeliten sammelten, einer viel, der andere wenig. Als man die Menge nachmaß, gab es wieder Anlaß zum Staunen: Denn jeder hatte soviel gesammelt, wie er zum Leben brauchte. Gott hatte keinem zuviel, keinem zuwenig zugemessen. Er hatte sein Versprechen gehalten.

Da sagt Mose: „Laßt nichts davon übrig und sammelt auch nicht für morgen. Ihr werdet sehen, morgen wird wieder genug da sein. Habt nur Vertrauen!“ Einige trauten der Sache aber nicht. „Wer weiß, was morgen ist?“, werden sie gesagt haben. Vertrauen ist gut, Vorsorge ist besser. So sammelten sie heimlich einen kleinen Vorrat an. Als sie aber am nächsten Morgen an ihre Vorratskrüge gehen, sind diese voller Würmer. Das gute Manna ist verdorben und stinkt furchtbar. Ihr Mißtrauen hat alles verdorben.

Liebe Gemeinde,

scheinbar ganz natürlich ist es also zugegangen, damals in der Wüste. Die Wachteln und das Manna – beides sind erklärbare Phänomene, die auch heute noch zu beobachten sind. Gott half seinem Volk, doch er verwandelte die trockene Wüste nicht ein Schlaraffenland, in dem einem die gebratenen Hühner direkt in den Mund fliegen. Nein, die Israeliten müssen für ihr Manna hart arbeiten. Tag für Tag müssen sie es einsammeln und verteilen. Ganz natürlich ist es scheinbar zugegangen und doch war es ein Wunder. Es war ein Wunder, daß Gott Mittel und Wege gefunden hat, inmitten einer unwirtlichen Natur Fleisch und Brot für sein Volk bereitzustellen. Es war ein Wunder, daß den Israeliten plötzlich die Augen aufgingen für die rettende Hand Gottes und sie erkennen konnten, wer dieser Gott in Wirklichkeit war, der mit ihnen auf dem Weg war. Es war ein Wunder, daß am Ende der Geschichte der Frieden wiederhergestellt war in den Mägen und in den Familien durch den einen Satz: „Jeder hatte gesammelt, soviel er zum Leben brauchte.“

Gewiß, liebe Gemeinde, Sie und ich wandern selten durch eine Wüste hier in Amorbach; wir klagen auch nur selten über leere Brotkörbe und Fleischtöpfe. Im Gegenteil: unsere Kühlschränke sind oft zu voll und wir sind gut versichert: gegen Feuer, Wasser, Diebstahl. Wie die Israeliten in der Geschichte sagen wir: „Vertrauen ist gut, Vorsorge ist besser“. So sichern wir unser Leben ab.

Um so schlimmer kann es uns dann treffen, wenn auch wir eine Wüste erleben müssen, die unser Vertrauen in Frage stellt, angesichts derer wir meinen, Gott sei unendlich weit weg aus unserem Leben, er habe sich von uns verabschiedet.

Ich denke da an diejenigen unter Ihnen, die vor einigen Jahren ihre alte Heimat verlassen haben, um zurückzukehren in das Land ihrer Väter, nach Deutschland. Ich weiß nicht, was sie hofften, hier alles vorzufinden. Ich weiß nur, daß manche es sich anders vorgestellt haben, dieses Deutschland. Wüste kann dann heißen: heimatlos sein in dem Land, das mir zur Heimat werden sollte.

Ich denke an die Älteren unter uns, die ihren Lebensabend in Amorbach verbringen und die sich wünschen, daß jemand sich um sie kümmert, mit ihnen spricht, Zeit für sie hat. Wüste kann dann heißen: einsam sein mitten unter Menschen, die mich nicht mehr beachten.

Ich denke an den jungen Mann, vielbeschäftigt, dynamisch, erfolgreich. Der in aller seiner Betriebsamkeit innerlich ausgebrannt ist und immer öfter am Sinn seiner Arbeit und seines Lebens zweifelt. Wüste kann dann heißen: leer sein, trotz vollem Bankkonto.

Ich denke auch an die Menschen, die sich fragen: „Woher soll das Brot für heute kommen, wenn ich keine Arbeit finden kann; andre wissen nicht wie davon essen, und ich darf mich nicht einmal vermessen, sie zu suchen wie ein andrer Mann.“

Wüsten gibt es auch in meinem Leben. Wenn ich durch sie hindurchgehe, fällt auch mir das Murren leicht. Meist schreie ich meinen Unmut nicht so laut hinaus wie die Israeliten, ich fresse ihn aber oft in mich hinein. Und mit der Zeit und mit den Jahren verdichtet sich meine Unzufriedenheit zu Resignation und Verzweiflung. Ich beginne, am Sinn meines Lebens, meines Daseins, zu zweifeln. Und so kommt mir langsam auch Gott abhanden. Seine Wunder, mitten im Alltag meines Lebens, sehe ich nicht mehr. Seine Fürsorge nehme ich nicht mehr wahr. Sein gutes Wort, das mich andredet, höre ich nicht mehr. Denn ich bin damit beschäftigt, meine Körbe zu füllen mit dem Brot für morgen. Damit will ich dann meine Unzufriedenheit zudecken.

Doch manchmal, unerwartet, kann es vorkommen, daß mich etwas neu zum Staunen bringt. Gerade dann, wenn ich wieder damit beschäftigt bin , einen Schuldigen zu suchen für die mißliche Lage, in der ich mich befinde, passiert etwas, mit dem ich nicht mehr gerechnet habe. So geschah es auch im Leben eines Ehepaares. „Die Liebe zwischen dem Mann und seiner Frau war längst an den toten Punkt gekommen. Seitdem er nichts mehr verdient und sie nichts mehr zu essen hat, ist das vollends der Fall. Leer und hungrig sind sie. Ewig hungrig sitzen sie sich, wenn er abends heimkommt, gegenüber. Und er sagt: „Gib Brot“, sie: „Gib Geld“. Sie denkt, wenn er doch endlich ginge. Aber er geht nicht. Er geht auch an dem Abend nicht, als sie ihn anschreit, daß er nichts tauge. Er geht in die Küche und sie meint, er esse das letzte Stück Brot. Als sie in die Küche kommt und triumphierend „Hat es dir geschmeckt?“ sagt, liegt das Brot noch da, ist in Streifen geschnitten und schön hergerichtet. Das kommt für sie so plötzlich wie ein Blitz einen Nachthimmel zerreißt oder wie die Sonne durch eine Finsternis plötzlich Licht sieht. „Komm, du mußt etwas essen“, sagt er. „Ich habe keinen Hunger mehr, ich werde nie mehr Hunger haben“, erwidert sie und schiebt ihm den Kanten hin. Sie sehen sich an und stehen sich eine Weile regungslos gegenüber. Sie starren sich in die Gesichter, wie Schiffbrüchige nach ihrer Rettung die Sonne anstarren, die Erde und den fernen Himmel. Und sie beginnen sich zu verstehen. Sie sieht dann, wie er das Brot bricht. Sie sieht, wie er den halben Kanten in den Mund schiebt. Sie nimmt den anderen Kanten und ißt und lächelt wieder.“

Das Lächeln der Frau am Ende der Geschichte ist eines der Wunder, die uns Gott erleben läßt. Das Brot, das beide essen, beendet den Unfrieden zwischen ihnen. Es stiftet neu die Gemeinschaft zwischen Menschen, die sich nichts mehr zu sagen hatten. Es ist wie damals in der Wüste: das Brot, das meinen Unmut stillen kann, liegt meist näher als ich denke. Gott hat es mir auf meinen Weg gelegt. Ich habe es nur übersehen, nicht bemerkt. Ich bin achtlos daran vorbeigegangen. Das Brot, das Gott uns schenkt, sieht für jeden Menschen anders aus. Wenn wir aus diesem Gemeindehaus hinausgingen und draußen läge das Brot, von dem die Gemeinde lebt – was wäre da alles versammelt? Vielleicht eine Blume, die einmal einer bekam? Oder ein Telefongespräch, das noch lange nachklingt? Ein Medikament könnte da draußen liegen. Oder ein Mensch, der für einen anderen lebenswichtig ist. Das Brot Gottes hat viele Gestalten. Es kommt darauf an, es in unserem Leben zu entdecken. Wenn Jesus uns beten lehrt: „unser tägliches Brot gibt uns heute“, so schließt dies auch die Bitte ein, daß wir wachsam werden und offene Augen bekommen für dieses Lebensbrot. Im Leben Jesu wurde für alle Menschen deutlich: Wer sich mit Gott auf den Weg gemacht hat, für den wird gesorgt! Wer wie Jesus aus diesem Vertrauen lebt, wird auch wieder neu staunen lernen: staunen über die Zeichen von Heimat mitten in meiner Heimatlosigkeit, staunen über das Erlebnis von Gemeinschaft, mitten in meiner Einsamkeit, staunen über die Momente der Zufriedenheit, mitten in meiner Unzufriedenheit und Ziellosigkeit.

Liebe Gemeinde, wer erfahren hat, wie Gott für ihn sorgt, der wird auch befähigt, mit anderen zu teilen; der wird es nicht nötig haben, in blinder Gier Güter, seien es Brote oder Geldbeträge, anzuhäufen. Unser Text will uns einladen, mit Gott täglich neu zu rechnen, gerade dann, wenn wir ihn aus den Augen verloren haben und unsere Zeit damit zubringen, uns selbst leid zu tun. Vielleicht wäre es auch schön, wenn es Gelegenheit gäbe, von den Erfahrungen, die wir mit Gott gemacht haben, einmal anderen Menschen zu erzählen.

Wenn wir im Gottesdienst das Abendmahl feiern, dann wird in der Gemeinschaft etwas deutlich von der Erfahrung, die Menschen machen können, die am Tisch des Herrn sitzen: Sie bekommen offene Augen auch für den Mitmenschen, der bedürftig ist. Wir wollen als Gemeinde in Amorbach im Vertrauen auf den Gott weitergehen, der uns in Jesus Christus erschienen ist und von dem gesagt wird: „Alle euere Sorge werft auf ihn, denn er sorgt für euch.“. Amen.

2Mos 16,2-21

Liebe Gemeinde,

wer vor zwei Jahren im Sommer die Medien beobachtet hat, stieß immer wieder auf Nachrichten aus Ruanda. Das Schicksal der hunderttausenden von Flüchtlingen, die dem drohenden Hungertod zu entkommen trachteten, rief die Öffentlichkeit auf den Plan. Hilfswerke wie das Rote Kreuz, die UNO und andere, versuchten durch Hilfslieferungen das Schlimmste zu verhindern. So kam es, daß ein ganzes Volk inmitten einer Wüstenlandschaft überleben konnte; Brot und Wasser fand es zur rechten Zeit. Gut daß es solche Hilfswerke gibt, werden sie sagen, und wenn sie zur rechten Zeit zur Stelle sind ist es noch besser.

Unser heutiger Predigttext aus dem 2. Buch Mose, Kapitel 16, führt uns auch in die Wüste. Wir werden Zeuge, wie das Volk Israel sich aufgemacht hat in die Freiheit. Aus dem Sklavenhaus in Ägypten hatte Gott es befreit. Nach langer Zeit der Unterdrückung, Ausbeutung und Knechtschaft waren sie losgezogen. Das Ziel, das ihnen versprochen war, hatte einen paradiesischen Namen: ein Land, in dem Milch und Honig fließt. Dorthin waren sie mit ihren beiden Führern, Mose und Aaron, aufgebrochen. Doch die Freiheit hat ihren Preis. Der Weg zu ihr führt durch die Wüste.

Da sind sie nun, in der Wüste. Nun war alles schlimmer als je zuvor. Die Brotvorräte, die sie mitgenommen hatten, waren nach gut einem Monat fast aufgebraucht. Und kein Hilfswerk, kein Rotes Kreuz war in Sicht, das etwas an dieser Lage ändern konnte. Die Kinder fingen wohl zuerst an zu klagen: Mutter, gib uns Brot, wir haben Hunger. Dann waren es die Mütter, die zu ihren Männern liefen und sich beklagten: Mann, gib uns Brot, deine Kinder schreien. Schließlich versammelten sich alle bei Mose und Aaron. Wütende Blicke waren nun auf die beiden gerichtet: „Wollte Gott, wir wären in Ägypten gestorben durch des Herrn Hand, als wir bei den Fleischtöpfen saßen und Brot die Fülle zu essen hatten. Denn ihr habt uns herausgeführt in diese Wüste, daß ihr diese ganze Gemeinde an Hunger sterben laßt.“, riefen sie.

Harte und bittere Worte waren es, die gesprochen wurden. Doch ebenso verständlich: wenn der Magen anfängt zu knurren, ist es meist mit der guten Laune vorbei. Wenn die gute Laune fehlt, geht bald auch das Vertrauen in den Sinn und das Ziel des Weges verloren. So ging es auch den Israeliten. Und mit der guten Laune warfen sie auch ihr Vertrauen über Bord, und alles was sie bisher mit ihrem Gott erlebt hatten: Hatten sie nicht die Erfahrung gemacht, daß sich plötzlich unüberwindbar geglaubte Grenzen geöffnet hatten, damals am Roten Meer, als die Wasserfluten sich teilten und sie trockenen Fußes das andere Ufer erreichten? Waren sie nicht danach zur Oase Elim gelangt, die 12 Wasserquellen und 70 Palmen hatte? Alles, was das Herz begehrte fanden sie dort; da schien das Gelobte Land nicht mehr weit.

Der Weg in die Freiheit führt durch die Wüste. Wer frei sein will, muß sich zuerst aus alten Bindungen und Gewohnheiten frei machen. Er muß lernen, dem Weg der neu gewonnenen Freiheit zu trauen. Das mußten auch die Israeliten nun erleben. Und so standen sie vor Mose und Aaron und machten ihrem ganzen Unmut lautstark Luft. Was sie sagen, kommt uns bekannt vor: „Früher war alles besser! Warum habe ich mich nur darauf eingelassen, hierher zu kommen! Hätte ich doch nie auf dich gehört!“ So oder ähnlich reden wir selbst oft, wenn uns die gute Laune und unser Vertrauen in die Zukunft abhanden gekommen ist. Dann gibt es scheinbar nichts mehr, was uns trösten kann. Vergessen haben wir, warum wir uns auf dem Weg befinden, vergessen haben wir unser Ziel.

Was wird nun geschehen? Wird Mose den Befehl zur Umkehr geben? War alles umsonst? Da spricht Gott zu Mose: „Ich habe das Murren der Israeliten gehört. Sage ihnen: Gegen Abend sollt ihr Fleisch zu essen haben und am Morgen von Brot satt werden und sollt innewerden, daß ich, der Herr, euer Gott bin.“ Gott tut die Klagen der Israeliten nicht leichtfertig ab. Er nimmt den Hunger seines Volkes ernst. Und gerade darin erweist er sich als der Herr der Lage.

Was nun geschieht, sollte die Israeliten in Staunen versetzen. Gott macht sein Versprechen wahr: Er stillt den Hunger seines Volkes. In der Abenddämmerung ziehen Wachteln am Himmel über das Lager. Sie sind auf dem Weg nach Norden. Müde von ihrem langen Flug, machen sie Rast in der Wüste. So erschöpft sind die Vögel, daß man nur hinausgehen muß und sie einfangen. Alles geht so einfach. Als die Israeliten am nächsten Morgen aus ihren Zelten kommen, da staunen sie wieder: Rings um das ganze Zeltlager ist der Wüstenboden mit weißgelben Körnern bedeckt. Wie große gefrorene Tautropfen liegen sie zwischen den Steinen und auf dem Sand. Noch etwas ungläubig und zögernd heben sie einige von den Körnen auf und essen davon. „Man hu?“ – „Was ist das?“ – fragen sie erstaunt. Mose sagt: „Es ist das Brot, das euch der Herr zu essen gegeben hat.“

Nun sammeln auch die Kinder und essen. Sie rufen voll Freude: „Das Manna ist gut, es schmeckt süß, wie frische Brötchen mit Honig.“ Von den Blättern der Tamariskenbüsche sind sie herabgefallen, die süßen Körner. Das passiert bis auf den heutigen Tag in der Wüste, wenn Insekten in die Blätter stechen und in der kühlen Nacht der Saft heraustropft und gefriert. Seltsam: warum war keinem von ihnen das bisher aufgefallen? Haben sie es einfach übersehen?

Mose gibt den Befehl: „Jeder soll davon sammeln, soviel er zum Essen braucht, einen Krug voll für jeden nach der Zahl der Leute in seinem Zelt.“ Und die Israeliten sammelten, einer viel, der andere wenig. Als man die Menge nachmaß, gab es wieder Anlaß zum Staunen: Denn jeder hatte soviel gesammelt, wie er zum Leben brauchte. Gott hatte keinem zuviel, keinem zuwenig zugemessen. Er hatte sein Versprechen gehalten.

Da sagt Mose: „Laßt nichts davon übrig und sammelt auch nicht für morgen. Ihr werdet sehen, morgen wird wieder genug da sein. Habt nur Vertrauen!“ Einige trauten der Sache aber nicht. „Wer weiß, was morgen ist?“, werden sie gesagt haben. Vertrauen ist gut, Vorsorge ist besser. So sammelten sie heimlich einen kleinen Vorrat an. Als sie aber am nächsten Morgen an ihre Vorratskrüge gehen, sind diese voller Würmer. Das gute Manna ist verdorben und stinkt furchtbar. Ihr Mißtrauen hat alles verdorben.

Liebe Gemeinde,

scheinbar ganz natürlich ist es also zugegangen, damals in der Wüste. Die Wachteln und das Manna – beides sind erklärbare Phänomene, die auch heute noch zu beobachten sind. Gott half seinem Volk, doch er verwandelte die trockene Wüste nicht ein Schlaraffenland, in dem einem die gebratenen Hühner direkt in den Mund fliegen. Nein, die Israeliten müssen für ihr Manna hart arbeiten. Tag für Tag müssen sie es einsammeln und verteilen. Ganz natürlich ist es scheinbar zugegangen und doch war es ein Wunder. Es war ein Wunder, daß Gott Mittel und Wege gefunden hat, inmitten einer unwirtlichen Natur Fleisch und Brot für sein Volk bereitzustellen. Es war ein Wunder, daß den Israeliten plötzlich die Augen aufgingen für die rettende Hand Gottes und sie erkennen konnten, wer dieser Gott in Wirklichkeit war, der mit ihnen auf dem Weg war. Es war ein Wunder, daß am Ende der Geschichte der Frieden wiederhergestellt war in den Mägen und in den Familien durch den einen Satz: „Jeder hatte gesammelt, soviel er zum Leben brauchte.“

Gewiß, liebe Gemeinde, Sie und ich wandern selten durch eine Wüste hier in Amorbach; wir klagen auch nur selten über leere Brotkörbe und Fleischtöpfe. Im Gegenteil: unsere Kühlschränke sind oft zu voll und wir sind gut versichert: gegen Feuer, Wasser, Diebstahl. Wie die Israeliten in der Geschichte sagen wir: „Vertrauen ist gut, Vorsorge ist besser“. So sichern wir unser Leben ab.

Um so schlimmer kann es uns dann treffen, wenn auch wir eine Wüste erleben müssen, die unser Vertrauen in Frage stellt, angesichts derer wir meinen, Gott sei unendlich weit weg aus unserem Leben, er habe sich von uns verabschiedet.

Ich denke da an diejenigen unter Ihnen, die vor einigen Jahren ihre alte Heimat verlassen haben, um zurückzukehren in das Land ihrer Väter, nach Deutschland. Ich weiß nicht, was sie hofften, hier alles vorzufinden. Ich weiß nur, daß manche es sich anders vorgestellt haben, dieses Deutschland. Wüste kann dann heißen: heimatlos sein in dem Land, das mir zur Heimat werden sollte.

Ich denke an die Älteren unter uns, die ihren Lebensabend in Amorbach verbringen und die sich wünschen, daß jemand sich um sie kümmert, mit ihnen spricht, Zeit für sie hat. Wüste kann dann heißen: einsam sein mitten unter Menschen, die mich nicht mehr beachten.

Ich denke an den jungen Mann, vielbeschäftigt, dynamisch, erfolgreich. Der in aller seiner Betriebsamkeit innerlich ausgebrannt ist und immer öfter am Sinn seiner Arbeit und seines Lebens zweifelt. Wüste kann dann heißen: leer sein, trotz vollem Bankkonto.

Ich denke auch an die Menschen, die sich fragen: „Woher soll das Brot für heute kommen, wenn ich keine Arbeit finden kann; andre wissen nicht wie davon essen, und ich darf mich nicht einmal vermessen, sie zu suchen wie ein andrer Mann.“

Wüsten gibt es auch in meinem Leben. Wenn ich durch sie hindurchgehe, fällt auch mir das Murren leicht. Meist schreie ich meinen Unmut nicht so laut hinaus wie die Israeliten, ich fresse ihn aber oft in mich hinein. Und mit der Zeit und mit den Jahren verdichtet sich meine Unzufriedenheit zu Resignation und Verzweiflung. Ich beginne, am Sinn meines Lebens, meines Daseins, zu zweifeln. Und so kommt mir langsam auch Gott abhanden. Seine Wunder, mitten im Alltag meines Lebens, sehe ich nicht mehr. Seine Fürsorge nehme ich nicht mehr wahr. Sein gutes Wort, das mich andredet, höre ich nicht mehr. Denn ich bin damit beschäftigt, meine Körbe zu füllen mit dem Brot für morgen. Damit will ich dann meine Unzufriedenheit zudecken.

Doch manchmal, unerwartet, kann es vorkommen, daß mich etwas neu zum Staunen bringt. Gerade dann, wenn ich wieder damit beschäftigt bin , einen Schuldigen zu suchen für die mißliche Lage, in der ich mich befinde, passiert etwas, mit dem ich nicht mehr gerechnet habe. So geschah es auch im Leben eines Ehepaares. „Die Liebe zwischen dem Mann und seiner Frau war längst an den toten Punkt gekommen. Seitdem er nichts mehr verdient und sie nichts mehr zu essen hat, ist das vollends der Fall. Leer und hungrig sind sie. Ewig hungrig sitzen sie sich, wenn er abends heimkommt, gegenüber. Und er sagt: „Gib Brot“, sie: „Gib Geld“. Sie denkt, wenn er doch endlich ginge. Aber er geht nicht. Er geht auch an dem Abend nicht, als sie ihn anschreit, daß er nichts tauge. Er geht in die Küche und sie meint, er esse das letzte Stück Brot. Als sie in die Küche kommt und triumphierend „Hat es dir geschmeckt?“ sagt, liegt das Brot noch da, ist in Streifen geschnitten und schön hergerichtet. Das kommt für sie so plötzlich wie ein Blitz einen Nachthimmel zerreißt oder wie die Sonne durch eine Finsternis plötzlich Licht sieht. „Komm, du mußt etwas essen“, sagt er. „Ich habe keinen Hunger mehr, ich werde nie mehr Hunger haben“, erwidert sie und schiebt ihm den Kanten hin. Sie sehen sich an und stehen sich eine Weile regungslos gegenüber. Sie starren sich in die Gesichter, wie Schiffbrüchige nach ihrer Rettung die Sonne anstarren, die Erde und den fernen Himmel. Und sie beginnen sich zu verstehen. Sie sieht dann, wie er das Brot bricht. Sie sieht, wie er den halben Kanten in den Mund schiebt. Sie nimmt den anderen Kanten und ißt und lächelt wieder.“

Das Lächeln der Frau am Ende der Geschichte ist eines der Wunder, die uns Gott erleben läßt. Das Brot, das beide essen, beendet den Unfrieden zwischen ihnen. Es stiftet neu die Gemeinschaft zwischen Menschen, die sich nichts mehr zu sagen hatten. Es ist wie damals in der Wüste: das Brot, das meinen Unmut stillen kann, liegt meist näher als ich denke. Gott hat es mir auf meinen Weg gelegt. Ich habe es nur übersehen, nicht bemerkt. Ich bin achtlos daran vorbeigegangen. Das Brot, das Gott uns schenkt, sieht für jeden Menschen anders aus. Wenn wir aus diesem Gemeindehaus hinausgingen und draußen läge das Brot, von dem die Gemeinde lebt – was wäre da alles versammelt? Vielleicht eine Blume, die einmal einer bekam? Oder ein Telefongespräch, das noch lange nachklingt? Ein Medikament könnte da draußen liegen. Oder ein Mensch, der für einen anderen lebenswichtig ist. Das Brot Gottes hat viele Gestalten. Es kommt darauf an, es in unserem Leben zu entdecken. Wenn Jesus uns beten lehrt: „unser tägliches Brot gibt uns heute“, so schließt dies auch die Bitte ein, daß wir wachsam werden und offene Augen bekommen für dieses Lebensbrot. Im Leben Jesu wurde für alle Menschen deutlich: Wer sich mit Gott auf den Weg gemacht hat, für den wird gesorgt! Wer wie Jesus aus diesem Vertrauen lebt, wird auch wieder neu staunen lernen: staunen über die Zeichen von Heimat mitten in meiner Heimatlosigkeit, staunen über das Erlebnis von Gemeinschaft, mitten in meiner Einsamkeit, staunen über die Momente der Zufriedenheit, mitten in meiner Unzufriedenheit und Ziellosigkeit.

Liebe Gemeinde, wer erfahren hat, wie Gott für ihn sorgt, der wird auch befähigt, mit anderen zu teilen; der wird es nicht nötig haben, in blinder Gier Güter, seien es Brote oder Geldbeträge, anzuhäufen. Unser Text will uns einladen, mit Gott täglich neu zu rechnen, gerade dann, wenn wir ihn aus den Augen verloren haben und unsere Zeit damit zubringen, uns selbst leid zu tun. Vielleicht wäre es auch schön, wenn es Gelegenheit gäbe, von den Erfahrungen, die wir mit Gott gemacht haben, einmal anderen Menschen zu erzählen.

Wenn wir im Gottesdienst das Abendmahl feiern, dann wird in der Gemeinschaft etwas deutlich von der Erfahrung, die Menschen machen können, die am Tisch des Herrn sitzen: Sie bekommen offene Augen auch für den Mitmenschen, der bedürftig ist. Wir wollen als Gemeinde in Amorbach im Vertrauen auf den Gott weitergehen, der uns in Jesus Christus erschienen ist und von dem gesagt wird: „Alle euere Sorge werft auf ihn, denn er sorgt für euch.“. Amen.

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