1. Johannes 4,7-12

7 Ihr Lieben, wir wollen einander lieben, denn die Liebe kommt von Gott! Wer liebt, hat Gott zum Vater und kennt ihn. 8 Wer nicht liebt, kennt Gott nicht; denn Gott ist Liebe. 9 Gottes Liebe zu uns hat sich darin gezeigt, daß er seinen einzigen Sohn* in die Welt sandte. Durch ihn wollte er uns das neue Leben schenken. 10 Das Einzigartige an dieser Liebe ist: Nicht wir haben Gott geliebt, sondern er hat uns geliebt. Er hat seinen Sohn gesandt, damit er durch seinen Tod Sühne leiste für unsere Schuld. 11 Ihr Lieben, wenn Gott uns so sehr geliebt hat, dann müssen auch wir einander lieben. 12 Niemand hat Gott je gesehen. Aber wenn wir einander lieben, lebt Gott in uns. Dann hat seine Liebe bei uns ihr Ziel erreicht.

Liebe Gemeinde,

wenn ich diese Worte aus dem ersten Johannesbrief lese und höre, dann merke ich mit Erschrecken, daß ich heute beim Predigen vieles falsch machen kann.

Ich bin in der Gefahr, jetzt über Theologie zu reden, über die Lehre von Gott: Was ist Gott ? Wer ist Gott ? Was ist sein Wesen? Und dann kann ich einen schönen, gelehrten Vortrag halten über das Thema: Gott ist Liebe. Aber darum geht es nicht in diesem biblischen Wort aus dem Johannesbrief.

Ich könnte auch über die Liebe reden. Ich könnte Anweisungen geben, wie Christen richtig lieben sollen – aber ich fürchte die Langeweile, wenn ich mich hier in Erklärungen und Aufforderungen zur Liebe verliere. Zu abgegriffen, zu ausgelutscht ist dieses Wort, sind alle Anweisungen, die damit zu tun haben. Nein, darum geht es auch nicht in unserem Text, denn über Liebe reden kann man nicht wirklich, Liebe muß man leben !

Deshalb erzähle ich Ihnen heute zwei Geschichten, Geschichten aus dem Leben, lebendige Liebesgeschichten:

„Ich mache einen Besuch in den großen Bodelschwinghschen Anstalten von Bethel bei Bielefeld. Dort begegnet mir ein Mann, der mir verwundert berichtet, was er gerade erlebt hat: ‘Als ich eben durchs Hoftor eintrete, steht da mitten im Weg ein großer Hund mit fürchterlichem Gebiß und wütenden Augen. Ich überlege noch, ob ich umdrehen und weitergehen soll. Da sehe ich, wie aus einem anliegenden Haus ein epileptischer Junge, einer der behinderten Bewohner, herauskommt und auf den Hund zugeht, um ihm zu streicheln. Mir will das Herz stehenbleiben. Entsetzt rufe ich: ‘Halt, Junge, der Hund ist böse.‘ Aber unbekümmert dreht der Junge sich nach mir um und sagt: ‘Wenn man ihn lieb hat, beißt er nicht.‘ Da hatte ich meine Lektion.“ (Aus Willi Hoffsümmer, Kurzgeschichten 1, S. 74)

Wenn man ihn lieb hat, beißt er nicht ! Das gilt nicht nur für Hunde! Aber stimmt es für den Menschen auch? Klingt das nicht ein wenig einfach? Und was ist, wenn er doch beißt?

Die Nachrichten in Presse und Fernsehen lassen mich nicht an die Liebe im Menschen glauben. Auch ein ehrlicher Blick auf mich selbst und meine Gefühle und Gedanken zeigen mir nichts Besseres. Wir Menschen sind mehr oder weniger wilde Hunde, mit wildem Knurren, wütenden Augen und einem kräftigem Gebiß, mit dem wir viel zu oft zubeißen.

Doch es gilt auch für uns: „Wenn man ihn liebhat, beißt er nicht!“ Das ist nicht nur die tiefe Sehnsucht von Hunden, sondern auch von mir: Streicheln, Liebe, Angenommen-Sein, bedingungslos Geliebt-Werden. Dann brauche ich nicht mehr zu beißen.

Ihr Lieben, wir wollen einander lieben, denn die Liebe kommt von Gott! Wer liebt, hat Gott zum Vater und kennt ihn. Gottes Liebe zu uns hat sich darin gezeigt, daß er seinen einzigen Sohn in die Welt sandte. Durch ihn wollte er uns das neue Leben schenken.

Liebe Gemeinde in Ellhofen, wieviele Philosophen haben sich nicht schon über die Frage, wer Gott ist und was er mit uns Menschen vorhat, den Kopf zerbrochen. Und hier steht es einfach und schlicht: Gott liebt die Menschen. Er liebt mich! Ich bin angenommen, bin wert-geachtet, bin geliebt. Für mich hat Gott sein Bestes gegeben: seinen Sohn, sein Leben. Damit ich weiß: Gott steht auf meiner Seite. Ich bin nicht allein! Wir haben es an Ostern gefeiert, und wir feiern und bedenken es noch in jedem Gottesdienst: Gott sagt zu mir: „Ich liebe Dich !“

Und das ist unvergleichlich wichtiger als wenn ein Schlagersänger uns zusingt: „Piep, piep, piep, Guildo hat euch lieb !“

Gottes Liebe kann ich spüren, täglich: morgens schon, wenn ich meine Augen aufmache. Und erst recht am Abend, bevor ich sie wieder zumache:

Gottes Liebe, spürbar schon im Sonnenstrahl, der mich weckt und der der ganzen Erde das Leben schenkt.

Gottes Liebe aber auch im anhaltenden Landregen, der den Boden tränkt.

Gottes Liebe in dem freundlichen Gesicht meiner Familie, meiner Freunde, meiner Nachbarn.

Gottes Liebe aber auch in dem schwierigen Ereignissen des Tages, in den leidvollen Erfahrungen meines Lebens; denn eigentlich haben diese mich erst zum Nachdenken gebracht. Erst durch meine Grenzen, erst durch so manches Leid kann ich Gottes Liebe begreifen, kann ich verstehen, daß rein gar nichts mich von seiner Liebe trennen kann.

Gott sagt zu mir: „Ich liebe Dich !“ – Und Gott wartet. Er wartet auf meine Antwort. Was ist die Antwort auf solche Liebe, die Antwort auf eine solche Liebeserklärung? „Ich liebe Dich auch !“, so antwortet ein Mann oder eine Frau auf die Liebeswerbung des Partners. Und beide lassen ihren Worten Taten folgen: eine Umarmung, ein Kuß, ihr ganzes Wesen ist eine Antwort. Liebe fordert immer zu einer Antwort heraus, ablehnend oder öffnend. Liebe läßt niemals gleichgültig. Schon gar nicht die Liebe Gottes.

Dazu die zweite. Geschichte aus dem Leben, die zweite. Liebesgeschichte:

Ein indischer Maschinenbaustudent aus einer christlichen Familie besuchte während seines Studiums in Deutschland einen Gottesdienst. Dort wurde er von einem Ehepaar zu Weihnachten eingeladen. Aus dem Kontakt entwickelte sich eine Freundschaft, so daß die Familie ihm sogar anbot, er könne bei ihnen wohnen.

Der Student schrieb seinem Vater nach Indien von dieser herzlichen Gastfreundschaft, die für ihn eine große Hilfe und Ermutigung sei. Das machte den Vater nachdenklich. Wenn der Sohn in Deutschland soviel Hilfe und Liebe erfuhr, wollte er auch nicht untätig sein. Er entschloß sich, fünf Straßenkinder in sein Haus aufzunehmen.

Als das deutsche Ehepaar bei einem Besuch in Indien erlebte, wie diese Straßenkinder ein Zuhause gefunden hatten, regte es Freunde in Deutschland zum Spenden an. So konnte die indische Familie weitere Kinder aufnehmen. Auch die Brüder des Studenten mit ihren Frauen engagierten sich in dieser Arbeit. Heute, nach 25 Jahren, sind daraus sieben Kinderheime mit über 500 Plätzen geworden. (Neukirchner Abreißkalender, 1. Mai 1998)

Liebe Schwestern und Brüder, unsere Antwort auf Gottes Liebe wird nicht unbedingt der Aufbau eines Kinderheimes sein, aber aufbauend, auf-erbauend wird sie immer sein, unsere Liebesantwort an Gott. Sie wird uns verändern und auch die Menschen um uns herum. Gottes Liebe läßt keinen unverändert.

Was kann das, liebe Gemeinde in Ellhofen, für unsere christliche Gemeinschaft bedeuten? Was können diese Sätze bedeuten für unser Verhalten zueinander:

„Wenn ich den anderen liebe, beißt er nicht?“ – „Die Liebe Gottes fordert eine Antwort von mir?“

Werden Menschen in unserer Gemeinde diese Antwort, die wir auf Gottes Liebe geben, spüren? Werden sie merken, daß in unserer Gemeinschaft ein anderer Geist weht als anderswo? Werden sie sich angenommen fühlen, auch dann, wenn sie anders sind als wir?

Wir wollen in dieser Gemeinde erleben, wie Gottes Liebe uns verändert. Weil wir Liebe empfangen, können wir sie weitergeben. Vielleicht fängt das schon damit an, daß ich meinem Banknachbarn hier in diesem Gottesdienst nachher freundlich „Auf Wiedersehen“ sage, oder einmal mit jemandem spreche, mit dem ich sonst kein Wort wechsle.

Ich wünsche mir für die Zeit hier in Ellhofen, daß dieser Geist Jesu Christi, der Geist der Liebe, unter uns spürbar wird, in allem, was wir tun, reden und denken. Amen.

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